Am Rande des Universums

Konrad Zuse Friede, Freude und Buletten auf der re-publica? Ja. Zuwenig Streit? Stimmt. Abgesehen von den üblichen Sticheleien (vorzugsweise gegen Nicht-Anwesende) habe auch ich in meiner Konferenz-Ecke keine wirklich kontroversen Debatten erlebt. Ungefähr sechshundertachtzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die erste Reihe allzu oft unter sich schwadronieren lassen – aber wer kann sich schon darüber beschweren, ohne mit eigenen Nase zu kollidieren?

Alle siebenhundert werden nichtsdestotrotz in einen Topf geworfen, weil sie all die Millionen da draußen in einen Topf werfen. That’s Blogosphere. Ein jeder hält das Sonnensystem, in dem er kreist, für das ganze Universum.

Spätestens seit Freitagabend steht zumindest eines fest: Blogger können ebensolche Arschlöcher sein wie alle anderen. Wer hätte das gedacht?

Meine persönliche Second of Fame ist übrigens die neunte. . Update: Das Video wurde entfernt. Tja, jeder Ruhm ist flüchtig.

re-publica: Anonymität und Datenschutz

Jeder Internetsurfer hinterlässt Spuren – eine Binsenweisheit, zumal unter routinierten Nutzern, wie sie sich auf der re-publica tummelten. Und doch standen einigen von ihnen zunehmend die Haare zu Berge, als “Fukami” in einem vollgestopften Raum (wie in besten Uni-Zeiten) erläuterte, wer alles was über nahezu jeden von uns weiß – oder zumindest wissen könnte.

Innenministerium Berlin Datenschutz war ein wichtiges Thema auf der re-publica. Sogar meine Unterkunft habe ich passend gewählt: Ich nächtigte in Berlin unmittelbar neben dem Innenministerium. Hinter diesen Fenstern bereiten Schäubles Mitarbeiter eine Grundgesetz-Änderung vor, um sich künftig legal Online-Zugriff auf Computer verschaffen zu können.

Bereits weiter fortgeschritten ist der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung, den Justizministerin Zypries kommenden Mittwoch (18.4.) ins Bundeskabinett einbringt. Geplant ist, dass sämtliche unserer Verbindungsdaten sechs Monate lange gespeichert werden. Polizei, Staatsanwaltschaft und ausländische Staaten können dann nachverfolgen, mit wem ich wann im letzten halben Jahr telefoniert und wem ich wann eine E-Mail gesendet habe. Telefoniere ich mobil, wird auch mein jeweiliger Aufenthaltsort festgehalten.

Die Vorratsdatenspeicherung ist nur eine von diversen staatlichen Datensammlungen. Die e-Gesundheitskarte speichert meine komplette Krankenheitsgeschichte, in der Anti-Terror-Datei fügen Polizei und Geheimdienst ihre Informationen über mich zusammen, der RFID-Chip im Reisepass wird mich “scannbar” machen.

re-publica 2007Die meisten von uns geben ihre Daten aber freiwillig heraus. Manchmal willentlich (hier ein kostenloser Account, dort eine Registrierung, Fotos vom Aufenthaltsort in Echtzeit auf flickr, Tracking bei Plazes und vieles mehr), vie öfter aber auch, ohne es zu wissen. Beim Surfen ziehe ich einen immer länger werdenden Click-Stream hinter mir her, der nicht nur die IP-Adresse, sondern auch jede aufgerufene URL protokolliert. Der Service-Provider speichert diese Daten und – davon jedenfalls ist “Fukami” überzeugt, auch wenn es kein ISP zugeben würde – verkauft sie weiter. Der Click-Stream sei “bares Geld”, er erlaube ein regelrechtes Profiling. Zwar würde er bei einem Handel von meiner IP-Adresse losgelöst, doch eine ausreichende Datenmenge, etwa Logfiles über mehrere Wochen, würden genügen, um durch mein Verhalten, die von mir besuchten Seiten und die Informationen darüber, wann ich mit wem kommuniziert habe, auf mich rückschließen zu können.

Was tun, um Daten im Netz zu schützen? Die sicherste Lösung: Offline bleiben. Für alle anderen Möglichkeiten gelte: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber man kann den Schutz immerhin verbessern. Zwei Möglichkeiten stellte “Fukami” näher vor: TOR und VPN-Tunnel.

Die Software TOR (The Onion Router) kann den Datentransport schützen, indem sie die Transportwege verschleiert. Ist die Software auf meinem Rechner installiert, bekomme ich eine verschlüsselte Verbindung zu den Servern im TOR-Netzwerk. Für den Weg zur besuchten Website werden meine Daten verzwiebelt (in mehreren Schichten) und in zufälliger Folge von einem unabhängigen Server im Netzwerk zum nächsten weitergereicht. Jedes dieser Etappenziele “weiß” lediglich, woher mein Datenpaket kommt und wohin es geht; der gesamte Pfad zum Ziel bleibt verborgen. Ein TOR-Netzwerk fungiert also als Proxy zwischen meinem Rechner und meinen Zielen im Netz. Nachteil: TOR bremst die Verbindungsgeschwindigkeit. Eine weitere Möglichkeit ist das Tunneln meiner Daten durch ein VPN (Virtual Private Network). Dabei sieht der Server nicht mehr meine, sondern eine öffentliche IP-Adresse.

Weiterführende Internetadressen:
TOR
www.anon-web.de
http://anon.inf.tu-dresden.de
www.anon.gildemax.de

Anonymes Hosting: TOR Hidden Service, e2p/eepsite
Anonymes Mailen: Webmailer mit TOR, Hushmail
Reveice only: Dodgeit, Tempinbox, Mailinator

re-publica, Tag 3: Demokratisierung und Gedöns

So. Konferenz vorbei (für mich bereits am Freitagmittag, es folgte eine laaaaange Bahnfahrt ohne Internet, sehr erholsam), alle relevanten Passwörter sind geändert, der Hintern erholt sich langsam von den unbequemen Stühlen und ich bleibe vorläufig noch eine Zusammenfassung über eine Veranstaltung zum Thema Datenschutz schuldig und, hm, mal sehen, ein Fazit oder sowas. Übermorgen oder irgendwann.

Ein Gedanke schlüpfte mit durch die Tür, als ich am Berliner Hauptbahnhof in den ICE kletterte, oder vielmehr eine Frage, die irgendjemand gleich am ersten Tag in die Runde geworfen hatte:
Wenn es so ist, dass eine Handvoll A-Blogger das Bild von der Blogosphäre nach innen wie nach außen prägen, während der überwältigenden Mehrheit von wenig besuchten und unbedarft schreibenden Feld-, Wald- und Wiesen-Bloggern so gut wie keine Relevanz beigemessen wird – was bleibt dann eigentlich von all dem Freiheits- und Demokratisierungspathos, mit dem wir unser Tun (gerade auch auf solchen Konferenzen) so gerne umschreiben?

re-publica, Tag 3: Der Empfänger als Sender

Gegen Mittag heißt die Frage im Hauptsaal: “Der Empfänger als Sender – Der “Citizen Journalism” lässt die Redaktion rotieren, doch bewegt er auch die Bürger?” Auf dem Podium (von links): Jörg Kantel, Katharina Borchert, Falk Lüke (Moderation), Jens Matheuszik, Hugo E. Martin.

re-publica 2007

An einer Definition von “Citizen Journalism” (im Laufe der Debatte setzt sich “Bürgerjournalismus” durch – vermutlich wegen der leichteren Aussprache) versucht sich Martin (Readers Edition): Bürgerjournalismus sei, “wenn Bürger an Inhalten beteiligt sind”.

Kantel (Schockwellenreiter) hat “massiv Schwierigkeiten mit diesem Begriff”: Bürgerjournalismus sei nur dann Bürgerjournalismus, wenn der Bürger im Besitz der Produktionsmittel sei. Alles andere sei “Moppelkotze” – oder “der Versuch, billigen Content von anderen zu bekommen.”

Borchert kann mit der Debatte wenige anfangen – für die WAZ-Onlinechefin ist das eine theoretische Diskussion, die hauptsächlich von Journalisten geführt werde und nicht von jenen, die “Bürgerjournalismus” machen. So sieht es auch Matheuszik (Pottblog): “Ich würde mich nie als Journalist sehen und möchte mich auch nicht mit Journalisten an Zeitungen vergleichen.” Er greife in seinem Blog die (regionalen) Themen auf, von denen er glaubt, dass sie in traditionellen Medien zu kurz kommen.

re-publica 2007Eben hierin sieht Borchert eine wichtige Aufgabe gerade für lokale Medien. “Das findet aber doch gar nicht mehr statt”, beklagt Kantel. Es würden nur noch massenkompatible Themen aufgegriffen. Dieses Vakuum könnten Bürgerjournalisten füllen. “Wir brauchen wieder den Verleger, der lokal vernetzt ist”, sagt Martin. Borchert verteidigt die etablierte Medienhäuser: Es gebe nun mal eine natürliche Bgrenzung dessen, worüber berichtet wird – schon aus Gründen des wirtschaftlichen Überlebens. Nicole Simon (im Publikum) moniert den Widerspruch, dass zwar an die klassischen Medienhäuser viele Forderungen gestellt würden, aber kaum jemand bereit sei, dafür zu zahlen.

Bei der WAZ sei eine Online-Plattform geplant, wo Leute ihr Blog einrichten und über ihre Region berichten könnten – aber nicht separiert von den redaktionellen Inhalten, sondern “eng vernetzt”. Es gehe darum, eine möglichst große Meinungsvielfalt darzustellen. Das entscheidende Format sei der Kommentar: Die Leute hätten das Bedürfnis, ihre Meinung zu äußern – und jetzt eben auch die technische Möglichkeit, dies öffentlich zu tun. “Das ging früher nicht.”

Oliver Gassner (im Publikum) fragt danach, wie WestEins mit zu erwartenden Rechtsproblemen im Zusammenhang mit Meinungsäußerungen umgehen wird. Damit habe man bereits Übung, so Borchert: “Wir haben auch jetzt schon mit Abmahnungen wegen Forenbeiträgen zu tun. Aber das wird uns davon nicht abhalten.”

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re-publica, Tag 3: Die Medien(r)evolution

Heute morgen geht es im Hauptsaal der Kalkscheune zunächst um “Die Medien(r)evolution – Wie überholt sind die alten Medien, wie innovativ die neuen?” Auf dem Podium (von links): Thomas Knüwer, Tim Pritlove (Moderation), Mercedes Bunz, Jochen Wegner, Johnny Haeusler (nicht im Bild, weil er zu spät kam, was die Spekulation nährte, er sei ohnehin nur ein Avatar – aber das Gesicht ist ja hinlänglich bekannt.;)).

Wie hat das Web den Journalismus verändert? Das Podium nähert sich dieser Frage zunächst handwerklich: “Im klassischen, alten Journalismus war der Link das Telefon. Da wurde den ganzen Tag telefoniert. Heute heißen Quellen Links, aber im Grunde ist es das gleiche”, meint Bunz (Tagesspiegel). Ein Konferenzteilnehmer sieht da sehr wohl einen wichtigen Unterschied: Ein Journalist, der zum Telefon greift, recherchiere selber. “Einen Link setzen heißt einfach nur das Internet abgrasen.” Bunz widerspricht: Um beispielweise das Ergebnis einer wissenschaftlichen Arbeit zu erfahren, könne man ebenso gut die Studie im Web nachlesen, statt den Forscher anzurufen. Das Spannendere sei jedoch, wie Zeitungen nach außen hin mit der Entwicklung umgehen.

Knüwer (Handelsblatt) sieht bei den Verlagen einen “kritischen Punkt erreicht”: Redaktionen seien im Begriff, sich zu zerteilen – in die Leute, die gerne multimedial arbeiten und die Freiheiten dieser Form des Publizierens genießen, und jene, die womöglich ihre Arbeitsplatz verlieren, die Ursache dafür im Internet sehen und den anderen vorwerfen, “da auch noch mitzumachen”. Knüwer nennt das einen “Kulturkrieg” und prognostiziert: Der werde in den kommenden Jahren in den Redaktionen vollends ausbrechen.

re-publica 2007 Jochen Wegner (Focus Online) glaubt nicht recht an Online First: “Das ist irgendwie Unsinn.” Der Alltag in den Redaktionen sehe anders aus. Im Zweifelsfall, wenn abends der Redaktionsschluss drückt, würde online eben nicht zuerst bedient – schon gar nicht, wenn es um “das große exklusive Merkel-Interview” gehe. Bei Focus Online würden 50 Leute einen “Nahezu-24-Stunden-Betrieb” zu stemmen versuchen. Natürlich werde viel Agenturmaterial verwendet, ebenso zahlreiche Artkel aus dem gedruckten Magazin, dazu gebe es aber täglich gut 20 eigene Geschichten.

Bunz begrüßt grundsätzlich die “Experimentierphase”, die in den Verlagen eingesetzt habe. Beim Tagesspiegel seien die Vorbehalte der Printredaktion gegenür Online deutlich zurückgegangen, die Kollegen seien aufgeschlossener, würden Artikel oder Langfassungen auch mal vorzeitig an die Online-Redaktion durchreichen. Knüwer stößt sich prompt an der Formulierung, fragt, warum eine Online-Redaktion darauf warten muss, dass Printkollegen etwas “reichen”, statt sich Texte “zu holen”. Bunz erinnert daran, dass Print und Online immer unterschiedlich produzieren werden – “es ist ein anderes Prodzuzieren in der Zeit, und das wird man nie rauskriegen.” Hinzu komme, dass viele Verlage – einschließlich des Tagesspiegels – noch immer technisch schlecht ausgestattet seien. “Man kann sich kaum vorstellen, mit welchen grottigen Computersystemen man bei Holtzbrinck arbeitet.”

Torsten Kleinz, Online- und Print-Journalist, bricht eine Lanze für die Umfassenheit der “alten” Medien: Wenn er sich unter Leute umhöre, die ausschließlich Blogs lesen, stelle er fest: Die sind teilweise erschreckend schlecht informiert.” Blogs als ausschließliches Informationsmedium? Haeusler kann sich das nicht vorstellen, Knüwer ebensowenig. Eine sinnvolle Aufagenteilung sieht für ihn so aus: Das Internet liefert schnell alle Nachrichten, der Print bringt die einordnenden, erläuternden Hintergrundtexte. Wegner wirft ein: “Das kann ich aber doch online auch?”

Wo aber bleibt die (ohnehin nur in Klammern gesetzte) Revolution? Liegt sie in einem Gedanken, den ein Teilnehmer im Publikum äußert: Wird die Print-Ausgabe in Zukunft das Supplement der Online-Ausgabe sein? Wird man in Zukunft das Geld übers Internet verdienen?

Ob die Zeitung bestehen bleibe, hänge auch davon ab, wie sich die Trägermedien weiterentwickeln, meint Bunz. Bislang hätten beide Formen noch ihren Vor- und Nachteile, würden sich noch sinnvoll ergänzen, aber das könne sich ändern. “Ich selber lese gerne Zeitung”. Haeusler gesteht ebenfalls, dass er regelmäßig und gerne in der Tageszeitung blättert: “Ich mag die Haptik von Papier, ich bin ein Magazin-Junkie.”

Wie zum Beweis wird die erste (und angeblich einzige) Spreeblick-Printausgabe verteilt. Die Titelgeschichte auf dem Tabloid-Heft: “Print ist tot”. Das Editorial erklärt:

Print ist tot. Steht ja überall. Oft sogar gedruckt. Und da dachten wir uns, machen wir doch mal schnell Print! Bevor es ganz verschwunden ist.

Zur Frage nach der Revolution fällt Haeusler durchaus noch etwas ein: “Die Informationshoheit fällt.” Es mag noch an der Qualität mangeln, “aber wir haben ja viele Jahre Zeit zum Üben.”

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re-publica, Tag 2: Politik 2.0

Nach einer Versorgungspause geht es weiter mit “Politik 2.0 – Wie verändert das Netz die politische Kommunikation und Partizipation?”. Auf dem Podium: Jan Schmidt, Falk Lüke (Moderation), Nico Lumma und Markus Beckedahl.

Lüke fragt ins Publikum, wer (auch) über politische Themen bloggt – und interpretiert die hochgereckten Arme als “überproportional hohe Quote”. (Aus meiner Sicht stellt sich das etwas anders dar, aber das mag an meinem Standort hier hinten am Katzentisch am Steckdosenpool liegen.)

Der “bekennende Sozialdemokrat” Nico Lumma hätte nach eigenem Bekunden viel Spaß am Social Networking auch in politischen Zusammenhängen – allein: Werkzeuge wie Blogs, Podcasts, Wikis, IM, Mail usw. würden (partei-)politisch kaum genutzt. Der ermüdenden Routine von regelmäßigen Zusammenkünften des Partei-Ortsvereins bei Bier und Brezel möchte auch Jan Schmidt lieber zeitgemäßere Formen der Kommunikation entgegensetzen. Er wünscht sich “andere Wege des politischen Engagements” – Wege, die zur Alltagssituation gerade auch jüngerer Leute (mobil, örtlich ungebunden) besser passen. Markus Beckedahl ärgert sich über die Trägheit von Parteien, die seit mehr als zehn Jahren wüssten, “dass Menschen sich projektbezogen engagieren wollen – aber wo sind die Angebote?” Bis heute komme keine Partei diesem Bedürfnis entgegen. “Ich kann nicht temporär mitarbeiten, ich muss mich hocharbeiten, um in entscheidenden Kreise vorzustoßen.” Die Parteien seien verhaftet in “altem Denken” und versuchten, alles unter Kontrolle zu halten – mit einem verheerenden Ergebnis: “Keiner macht mehr mit.”

Falk Lüke wirft einen Blick auf bloggende Präsidentschaftskandidaten mit Podcast und MySpace-Account in den USA und fragt: “Ist das für Deutschland adaptierbar?” Eher nicht, meint das Podium. Das System sei nicht vergleichbar, so Schmidt. Auf den US-Kandidaten laste ein sehr viel größerer Druck als hierzulande, sich als Person zu profilieren. Für Lumma hat das parteipolitische Engagement in den USA eher Strohfeuer-Charakter: Die Parteien bildeten für die Dauer eines Wahlkampfes “eine größtenteils ad hoc zusammengewürfelte Plattform” und würden Instrumente, mit denen sich in kurzer Zeit viele Menschen mobilisieren lassen, entsprechend stärker nutzen.

In Deutschland hingegen säßen an den entscheidenden Schalthebeln der Parteien gerade jene Leute, die ein projektbezogenes Engagement gar nicht wünschten. Jene Politiker, die sich hochgedient, ihre inhaltliche Nische gesucht, über Jahre hinweg Expertenwissen angeeignet hätten – “die haben kein Interesse an Leuten, die temporär quer dazwischen schießen”, so Lumma. Nicht einmal Kampfkandidaturen für die oberen Posten seien erwünscht, wird aus dem Publikum ergänzt – kein Wunder also, dass Teilhabe der Bürger bewusst erschwert würde.Das, was die klassischen Medien seit einigen Jahren (teilweise schmerzhaft) erfahren, müssten auch Institutionen und Parteien lernen, fordert Markus Beckedahl: “mit Offenheit zu leben”. Politiker und Parteien müssten entsprechende Angebote zur Partizipation schaffen, und zwar schleunigst. “Besser jetzt als 2009 im Wahlkampf.” Stattdessen “verpeilt die Politik gerade extrem, was passiert”, meint Nico Lumma und verweist auf Gesetzesentwürfe wie Vorratdatenspeicherung und “Bundestrojaner”, denen eine frappierende Inkompetenz im Umgang mit dem Medium Internet gegenüberstände – siehe Michael Glos und Günter Beckstein. Diesen Politiker sei es schlicht zuwider, wenn sich das Volk über Social Networks in politische Entscheidungsprozesse einbrächte. Ein Zuhörer im Publikum meint, dass die Politik in dieser Hinsicht derzeit “zurück ins Mittelalter”; steuere.

Bei der Nutzung neuer Medien seien Politiker gerade mal “angekommen bei E-Mail, ansonsten wird der Politikbetrieb sehr von Word-Dateien beherrscht”, hat Lumma beobachtet. Hier täten VHS-Kurse Not. Jan Schmidt ergänzt: “Es ist genauso notwenig, uns selbst zu sensibilisieren” – für Datensammlungen, Profiling usw.

Markus Beckedahl wirft einen ernüchternden Blick auf die Möglichkeiten der elektronischen Partizipation, die es derzeit in Deutschland gibt. Eine ePetition (liegt auf einem schottischen Server) etwa lande im Petitionsausschuss des Bundestages – man könne damit ein bisschen Aufmerksamkeit erzeugen, mehr aber auch nicht: “Es passiert wenig.” Abgeordnetenwatch erlaubt den Dialog zwischen Bürger und Abgeordnetem aus dem Wahlkreis: “Wenn man Glück hat, antwortet der Praktikant oder ein Mitarbeiter mit einem vorgefertigten Brief”, so Beckedahl. Die einzig wirkungsvolle Möglichkeit der Teilnahme sei nach wie vor der Weg über die Medien. “Politiker hören auf die Medien.” Nicht selten bestimme die Bildzeitung, was Thema im politischen Berlin wird.

Wenn Politiker selber bloggen, dann nutzen sie das Instrument meist nur als weiteren Distributionskanal für Pressemitteilungen, so der Eindruck eines Konferenzteilnehmers.

Lumma beschreibt den Versuch aus dem Jahr 2005, Politiker zum Bloggen zu bewegen, als “superschwierig”. Am Ende habe jeder seine Parteimeinung wiedergegeben und sei auf Gegenargumente in den Kommentaren kaum eingegangen. Ein Problem sei auch, dass man mitunter nicht weiß, wer da überhaupt bloggt. Politiker – oder doch bezahlte Mitarbeiter? Ein Jung-Blogger der grünen Jugend erklärt, er nutze das Blog des grünen Nachwuchses, um Öffentlichkeit zu schaffen. Jan Schmnidt macht sich keine Illusionen: “Politikerblogs müssen langweilig sein.” Ihre Autoren seien gezwungen, ihre programmatischen Formeln herunterzuspulen. Aber, so Lumma: Das Spannende an Web 2.0 sei ja nicht, dass Politiker sich jetzt äußern können – “das konnten sie vorher ja auch” – sondern, dass jetzt auch alle anderen mitreden könnten.

re-publica 2007 Wie aber halten es die Blogger selbst mit der Politik? Die Blogosphäre könnte durchaus politischer werden, dieser Wunsch ist im Saal wie auf dem Podium zu hören. Doch tiefergehende politische Diskussionen werden offenbar selten geführt. Nico Lumma: “Wenn ich über Politik schreibe, kommen wenige Kommentare.” Ein Phänomen, das auch in anderen Blogs zu beobachten sei. “Wir schreiben uns die Finger wund, aber es passiert wenig … Ab und zu kommentiert mal einer: ‘Hast recht'”. Lumma wünschte sich, dass sich öfter mal jemand findet, der Thema aufgreift, sich eigene Gedanken macht, es weitertransportiert oder selbst ein Thema setzt. Stattdessen heiße es in Blogs oft: “Man müsste mal …”

Widerspruch kommt von Marcel (Parteibuch): “Es gibt viel Diskurs und viele politische Blogs in Deutschland.”; Was in den klassischen Medien über Politik geschrieben werde, sei meist nur die halbe Wahrheit. “Durch Weblogs entwickelt sich eine viel besser informierte Gesellschaft.” Vor allzu großen Erwartungen an eine Politisierung der Blogosphäre warnt Jan Schmidt: “Wir sollten uns nicht erhoffen, dass dadurch das politische System insgesamt verbessert wird.” Die Rede sei schließlich nur von einer kleinen Zahl von Internetnutzern; viele wollten oder könnten sich nicht auf diese Weise beteiligen.

Ein Konferenzteilnehmer im Publikum, bekennender Fan von E-Partizipation, äußert sich ebenfalls skeptisch. Aus Erfahrung wisse er, “wie langsam politische Prozesse funktionieren”. Die entscheidende Politikergeneration (50plus) könne mit dem Medium nichts anfangen, und die Jungpolitiker kämen erst in vielen Jahren “oben” an.

Markus Beckedahl indes will nicht bis 2020 warten: “Ich will nicht, dass der Staat das Recht hat, in meinen Computer reinzukommen, ich will nicht, dass das Urheberrecht uns kriminalisiert, wenn wir Musik oder Bilder tauschen – und diese Gesetze werden JETZT gemacht.”

Ralf Bendrath (netzpolitik.org) will es wissen. Zum Abschluss der Diskussion ruft er dazu auf, in den kommenden Tagen die geplante Vorratsdatenspeicherung zu dem Thema in den Blogs zu machen. Kann es gelingen, Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nehmen – einfach, indem Blogger statt einer gewöhnlichen Sau mal die Politik durchs Dorf treiben? Versäumen Sie nicht die nächste Folge …

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