Nach einer Versorgungspause geht es weiter mit “Politik 2.0 – Wie verändert das Netz die politische Kommunikation und Partizipation?”. Auf dem Podium: Jan Schmidt, Falk Lüke (Moderation), Nico Lumma und Markus Beckedahl.
Lüke fragt ins Publikum, wer (auch) über politische Themen bloggt – und interpretiert die hochgereckten Arme als “überproportional hohe Quote”. (Aus meiner Sicht stellt sich das etwas anders dar, aber das mag an meinem Standort hier hinten am Katzentisch am Steckdosenpool liegen.)
Der “bekennende Sozialdemokrat” Nico Lumma hätte nach eigenem Bekunden viel Spaß am Social Networking auch in politischen Zusammenhängen – allein: Werkzeuge wie Blogs, Podcasts, Wikis, IM, Mail usw. würden (partei-)politisch kaum genutzt. Der ermüdenden Routine von regelmäßigen Zusammenkünften des Partei-Ortsvereins bei Bier und Brezel möchte auch Jan Schmidt lieber zeitgemäßere Formen der Kommunikation entgegensetzen. Er wünscht sich “andere Wege des politischen Engagements” – Wege, die zur Alltagssituation gerade auch jüngerer Leute (mobil, örtlich ungebunden) besser passen. Markus Beckedahl ärgert sich über die Trägheit von Parteien, die seit mehr als zehn Jahren wüssten, “dass Menschen sich projektbezogen engagieren wollen – aber wo sind die Angebote?” Bis heute komme keine Partei diesem Bedürfnis entgegen. “Ich kann nicht temporär mitarbeiten, ich muss mich hocharbeiten, um in entscheidenden Kreise vorzustoßen.” Die Parteien seien verhaftet in “altem Denken” und versuchten, alles unter Kontrolle zu halten – mit einem verheerenden Ergebnis: “Keiner macht mehr mit.”
Falk Lüke wirft einen Blick auf bloggende Präsidentschaftskandidaten mit Podcast und MySpace-Account in den USA und fragt: “Ist das für Deutschland adaptierbar?” Eher nicht, meint das Podium. Das System sei nicht vergleichbar, so Schmidt. Auf den US-Kandidaten laste ein sehr viel größerer Druck als hierzulande, sich als Person zu profilieren. Für Lumma hat das parteipolitische Engagement in den USA eher Strohfeuer-Charakter: Die Parteien bildeten für die Dauer eines Wahlkampfes “eine größtenteils ad hoc zusammengewürfelte Plattform” und würden Instrumente, mit denen sich in kurzer Zeit viele Menschen mobilisieren lassen, entsprechend stärker nutzen.
In Deutschland hingegen säßen an den entscheidenden Schalthebeln der Parteien gerade jene Leute, die ein projektbezogenes Engagement gar nicht wünschten. Jene Politiker, die sich hochgedient, ihre inhaltliche Nische gesucht, über Jahre hinweg Expertenwissen angeeignet hätten – “die haben kein Interesse an Leuten, die temporär quer dazwischen schießen”, so Lumma. Nicht einmal Kampfkandidaturen für die oberen Posten seien erwünscht, wird aus dem Publikum ergänzt – kein Wunder also, dass Teilhabe der Bürger bewusst erschwert würde.Das, was die klassischen Medien seit einigen Jahren (teilweise schmerzhaft) erfahren, müssten auch Institutionen und Parteien lernen, fordert Markus Beckedahl: “mit Offenheit zu leben”. Politiker und Parteien müssten entsprechende Angebote zur Partizipation schaffen, und zwar schleunigst. “Besser jetzt als 2009 im Wahlkampf.” Stattdessen “verpeilt die Politik gerade extrem, was passiert”, meint Nico Lumma und verweist auf Gesetzesentwürfe wie Vorratdatenspeicherung und “Bundestrojaner”, denen eine frappierende Inkompetenz im Umgang mit dem Medium Internet gegenüberstände – siehe Michael Glos und Günter Beckstein. Diesen Politiker sei es schlicht zuwider, wenn sich das Volk über Social Networks in politische Entscheidungsprozesse einbrächte. Ein Zuhörer im Publikum meint, dass die Politik in dieser Hinsicht derzeit “zurück ins Mittelalter”; steuere.
Bei der Nutzung neuer Medien seien Politiker gerade mal “angekommen bei E-Mail, ansonsten wird der Politikbetrieb sehr von Word-Dateien beherrscht”, hat Lumma beobachtet. Hier täten VHS-Kurse Not. Jan Schmidt ergänzt: “Es ist genauso notwenig, uns selbst zu sensibilisieren” – für Datensammlungen, Profiling usw.
Markus Beckedahl wirft einen ernüchternden Blick auf die Möglichkeiten der elektronischen Partizipation, die es derzeit in Deutschland gibt. Eine ePetition (liegt auf einem schottischen Server) etwa lande im Petitionsausschuss des Bundestages – man könne damit ein bisschen Aufmerksamkeit erzeugen, mehr aber auch nicht: “Es passiert wenig.” Abgeordnetenwatch erlaubt den Dialog zwischen Bürger und Abgeordnetem aus dem Wahlkreis: “Wenn man Glück hat, antwortet der Praktikant oder ein Mitarbeiter mit einem vorgefertigten Brief”, so Beckedahl. Die einzig wirkungsvolle Möglichkeit der Teilnahme sei nach wie vor der Weg über die Medien. “Politiker hören auf die Medien.” Nicht selten bestimme die Bildzeitung, was Thema im politischen Berlin wird.
Wenn Politiker selber bloggen, dann nutzen sie das Instrument meist nur als weiteren Distributionskanal für Pressemitteilungen, so der Eindruck eines Konferenzteilnehmers.
Lumma beschreibt den Versuch aus dem Jahr 2005, Politiker zum Bloggen zu bewegen, als “superschwierig”. Am Ende habe jeder seine Parteimeinung wiedergegeben und sei auf Gegenargumente in den Kommentaren kaum eingegangen. Ein Problem sei auch, dass man mitunter nicht weiß, wer da überhaupt bloggt. Politiker – oder doch bezahlte Mitarbeiter? Ein Jung-Blogger der grünen Jugend erklärt, er nutze das Blog des grünen Nachwuchses, um Öffentlichkeit zu schaffen. Jan Schmnidt macht sich keine Illusionen: “Politikerblogs müssen langweilig sein.” Ihre Autoren seien gezwungen, ihre programmatischen Formeln herunterzuspulen. Aber, so Lumma: Das Spannende an Web 2.0 sei ja nicht, dass Politiker sich jetzt äußern können – “das konnten sie vorher ja auch” – sondern, dass jetzt auch alle anderen mitreden könnten.
Wie aber halten es die Blogger selbst mit der Politik? Die Blogosphäre könnte durchaus politischer werden, dieser Wunsch ist im Saal wie auf dem Podium zu hören. Doch tiefergehende politische Diskussionen werden offenbar selten geführt. Nico Lumma: “Wenn ich über Politik schreibe, kommen wenige Kommentare.” Ein Phänomen, das auch in anderen Blogs zu beobachten sei. “Wir schreiben uns die Finger wund, aber es passiert wenig … Ab und zu kommentiert mal einer: ‘Hast recht'”. Lumma wünschte sich, dass sich öfter mal jemand findet, der Thema aufgreift, sich eigene Gedanken macht, es weitertransportiert oder selbst ein Thema setzt. Stattdessen heiße es in Blogs oft: “Man müsste mal …”
Widerspruch kommt von Marcel (Parteibuch): “Es gibt viel Diskurs und viele politische Blogs in Deutschland.”; Was in den klassischen Medien über Politik geschrieben werde, sei meist nur die halbe Wahrheit. “Durch Weblogs entwickelt sich eine viel besser informierte Gesellschaft.” Vor allzu großen Erwartungen an eine Politisierung der Blogosphäre warnt Jan Schmidt: “Wir sollten uns nicht erhoffen, dass dadurch das politische System insgesamt verbessert wird.” Die Rede sei schließlich nur von einer kleinen Zahl von Internetnutzern; viele wollten oder könnten sich nicht auf diese Weise beteiligen.
Ein Konferenzteilnehmer im Publikum, bekennender Fan von E-Partizipation, äußert sich ebenfalls skeptisch. Aus Erfahrung wisse er, “wie langsam politische Prozesse funktionieren”. Die entscheidende Politikergeneration (50plus) könne mit dem Medium nichts anfangen, und die Jungpolitiker kämen erst in vielen Jahren “oben” an.
Markus Beckedahl indes will nicht bis 2020 warten: “Ich will nicht, dass der Staat das Recht hat, in meinen Computer reinzukommen, ich will nicht, dass das Urheberrecht uns kriminalisiert, wenn wir Musik oder Bilder tauschen – und diese Gesetze werden JETZT gemacht.”
Ralf Bendrath (netzpolitik.org) will es wissen. Zum Abschluss der Diskussion ruft er dazu auf, in den kommenden Tagen die geplante Vorratsdatenspeicherung zu dem Thema in den Blogs zu machen. Kann es gelingen, Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nehmen – einfach, indem Blogger statt einer gewöhnlichen Sau mal die Politik durchs Dorf treiben? Versäumen Sie nicht die nächste Folge …
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