Radler, kommst du nach Neuendorf, einem beschaulichen Örtchen auf der Usedomer Halbinsel Gnitz, machst an diesem herrlichen Flecken Erde eine Rast, atmest tief ein – und schnupperst den Geruch von Benzin, dann schau dich um: In deiner unmittelbaren Nähe steht ein Hochtank. Und drüben, am Horizont, eine Handvoll Erdölpumpen. Hä?
Erdöl auf Usedom? Stimmt wirklich: Auf einer Fläche von rund fünf Quadratkilometern unter dem Gnitz sind seit Mitte der 60er Jahre 1,3 Millionen Tonnen schwarzes Gold aus mehr als 2500 Metern Tiefe zutage gefördert worden. Wir befinden uns damit auf der größten bekannten Erdöllagerstätte der neuen Bundesländer – und in einer der schönsten Ecken Usedoms.
Zu ergiebigsten Zeiten waren 21 der “Pferdekopf” genannten Pumpen in Betrieb, lagen sogar Tankschiffe im Achterwasser. Das ist lange her. Die Betreibergesellschaft EEG, eine Tochter von Gaz de France, geht davon aus, dass der Vorrat nahezu erschöpft ist. Offenbar wird aber immer noch gepumpt: Zumindest einen der Pferdeköpfe habe ich nicken sehen.
Jenseits des Achterwassers haben Vögel auf der Halbinsel Görmitz (hm, die Halbinsel einer Halbinsel, müsste die nicht Viertelinsel heißen?) ein Refugium. Ein Plattenweg führt von Neuendorf nach Netzelkow, das einen kleinen Hafen und eine der ältesten Kirchen Usedoms hat, und wer abenteuerlustig ist (und das Glück hat, von einer freundlichen Dorfbewohnerin einen Tipp zu bekommen), nimmt von dort aus nicht die Straße, sondern den Wanderweg in Richtung Lütow. Das Achterwasser linker Hand in Sichtweite, radelt man hier an Feldern und Wiesen vorbei und kommt schließlich zu einem Hünengrab: Felsen, vor Jahrtausenden hierher geschafft und zu einem Ganggrab aufgestellt, unter einer alten Eiche, die wie aus dem Stein zu wachsen scheint. Hier steht die Zeit still.
In Lütow warnt ein Radfahrer vor umgestürzten Bäumen auf dem weiteren Weg an die Südspitze des Gnitz – zu Recht, wie sich bald zeigt. Dann aber, nach einigen Kletterpartien, weitet sich der enge, mit Hindernissen gespickte Pfad zu einer grünen Landzunge: Möwenort. Hier ist die Welt zu Ende. Naja, zumindest der Gnitz. Drüben, am Horizont, sieht man einen Turm, wohl der Kirchturm von Lassan in der Nähe von Wolgast. Eine einsame Sonnenanbeterin hat sich am Ufer niedergelassen. Sie hat sich den schönsten Platz der ganzen Insel ausgesucht.
Mehr Bilder: