Das Buch muss weg!

re:publica 2013

re:publica 2013

Nein, natürlich nicht das Buch an sich. Nur das gedruckte. Damit Platz geschaffen wird für das neue, das digitale Buch. Das Buch ist nicht als Gesamtkonzept gescheitert. Nur als physisches Produkt muss es abgeschafft werden, damit wir eine neue Evolutionsstufe erreichen – genau so, wie die Erfindung der beweglichen Letter die Kopisten in den Klöstern überflüssig machte. Das sagt Ralf Stockmann von der Staatsbibliothek Berlin, u.a. zuständig für die Digitalisierung gemeinfreier Werke. Ein Bücherretter, der Bücher abschaffen will! Wo gibt’s denn sowas? Auf der re:publica natürlich.

Ich wäre jede Wette eingegangen: Sehr viele der Digitalisten, die zur Session “Das Buch muss überwunden werden” gekommen sind, haben mindestens ein (gedrucktes) Buch mit nach Berlin gebracht. Ich hab’s auch getan. Zwar werde ich am Rande der Konferenz kaum zum Bücherlesen kommen, bei all den Veranstaltungen, Tweets, Blogpostings, den Berichten im täglich frisch erscheinenden Konferenz-eBook und den Gesprächen mit Leuten, die ich das ganze Jahr über nur virtuell treffe. Aber dabei haben muss man doch eins!

Es ist, ich gebe es zu, widersprüchlich. Ich mag das eBook-Konzept, und mein Kopf sagt mir jedes Mal, wenn ich einen Buchladen ansteuere: Stop! Die Regale sind eh voll – kauf die elektronische Ausgabe! Ich kann mir nicht helfen: Oft (nicht immer) macht das Bücherlesen auf Papier nunmal mehr Spaß. Und das Kaufen ebenfalls.

Vielleicht liegt das aber auch daran, dass wir längst nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, die das eBook bietet. Ralf Stockmann skizziert, welche das sein könnten: Alle Anstreichungen und Kommentare, die ich beim Lesen eines Buches mache, sind durchsuchbar – über ein Buch oder gleich über eine ganze Bibliothek hinweg. Während ich beim gedruckten Buch schon nach einem Jahr kaum noch weiß, welche Gedanken mich beim Lesen besonders fasziniert haben und warum, so wäre dies bei digitalen Büchern, die mit digitalen Bemerkungen versehen sind, leicht nachzuvollziehen – auch nach fünf Jahren. Oder nach zwanzig.

Ich könnte Bücher oder Teile daraus auch mit Schlagwörtern versehen oder kategorisieren und so mein komplettes “Bücherregal” in Sekundenschnelle nach persönlichen Kriterien filtern und durchsuchen.

Vielleicht hätte ich Lust, diese Metadaten mit anderen zu teilen. In Nullkommanichts könnte ich ähnliche Anmerkungen oder übereinstimmende Tags in den Büchern meiner Freunde finden. Eine Version von “Kannst du mir mal ein gutes Buch empfehlen, du kennst ja meinen Geschmack” oder “Ging es dir beim Lesen nicht auch so, dass …?”

Und wenn man die Art, wie ein Buch von verschiedenen Leute gelesen, verstanden, empfunden wird, nun über die Zeiten hinweg betrachten könnte? Wie wurde ein Werk vor 1945 rezipiert und wie danach? Hat es zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Reaktionen und Gedanken ausgelöst?

Spannende Vorstellung.

Das gedruckte Buch muss dafür nicht weg. Aber das digitale Buch muss Standard werden, es muss plattformübergreifend lesbar sein (ich ärgere mich noch immer, dass mein Droste-eBook in dieser interaktiven Form nur auf dem iPad funktioniert), und die Lesegeräte müssen für alle erschwinglich sein, notfalls subventioniert. Büchereien und Schulbibliotheken sind es ja auch.