Es geht nicht um den Zaun, sondern darum, wer das Gartentor kontrolliert

Neulich hatte ich Abitreffen, und es war ein sehr schöner, besonderer Abend. Nicht nur, weil ich alte Bekannte nach langer Zeit wiedersah, sondern auch noch aus einem anderen Grund: Ich fand mich aus purem Zufall in Gesprächen mit Leuten wieder, mit denen ich damals, zu Schulzeiten, wenig bis gar nichts zu tun hatte. Und siehe da: Die meisten dieser unerwarteten Gespräche waren interessant und anregend.

Hätte dieses Treffen nicht im Restaurant eines Taunusstädtchens, sondern auf Facebook stattgefunden, so wären diese Unterhaltungen nicht zustande gekommen. Denn die Menschen, mit denen ich lange nichts zu tun hatte, hätten eben auch nicht zufällig neben mir gestanden. Der Hausherr (nennen wir ihn Mark Z.) hätte sie von vorneherein an einen anderen Tisch, in einem anderen Raum oder gleich in einem anderen Gebäude platziert. Was für ein Verlust, oder?

2013: Das Web zurückerobern – die Debatte, die Johnny Haeusler aufgeworfen hat, geht in diese Richtung. Tenor: Lasst uns nicht nur noch hinter den Zäunen der Facebook-Gärten miteinander reden, sondern vermehrt wieder dort, wo alles mal begonnen hat: In Blogs.

Heutzutage vergraben wir unsere kurzen Gedanken und Links in der Twitter-Wüste, unauffindbar nach nur wenigen Tagen. Wir posten längere Artikel bei G+ und können nur hoffen, dass Google den Dienst nicht irgendwann genauso einstellt wie viele andere Dienste zuvor. Und wenn wir das tolle Video suchen, das neulich jemand auf Facebook geteilt hat, dann sind wir aufgeschmissen, sobald die Facebook-Timeline es verschluckt hat.

Ja. Stimmt. Und wie! Allerdings: So schade ich es auch finde, dass vieles, was wir auf diesen Plattformen mikro-bloggen, irgendwo im Nachrichtenstrom verschwindet – das ist nicht das größte Problem. Auch nicht, dass wir uns online immer öfter hinter den (mehr oder weniger hohen) Zäunen von Facebook treffen, also auf einem Grundstück, das uns nicht gehört. Das noch größere Problem liegt meines Erachtens darin, dass wir die sichtbaren Gatekeeper der alten Medien gegen unsichtbare Torwächter eingetauscht haben: Es sieht zwar so aus, als würden wir selbst entscheiden, wen wir auf Facebook treffen. In Wahrheit entscheidet der unsichtbare Türsteher da draußen ganz allein, wen er auf unsere Party lässt – und weist oft sogar die Leute ab, die eine Einladung vorweisen können. Weil sie anders sind oder anders denken als wir.

“Das Web zurückerobern” klingt gut. Aber das ganze Web sollte es sein. Damit ich den Ausschnitt daraus, der mich interessiert, immer wieder aufs Neue selbst wählen kann.

Warum Facebook (und Google!) zunehmend auf Personalisierung setzt, ist klar: Die großen Player wollen ihre Botschaften exakt auf uns zuschneidern. Und wir? Wir lassen uns das gern gefallen. Dass wir unsere Zeit mit den Dingen, Medien und Menschen verbingen, die uns vertraut sind und unseren Bedürfnissen entsprechen, hat ja auch durchaus gute Gründe: Ich fühle mich verstanden, gut aufgehoben, sicher und in meinen Ansichten bestätigt. Und bequem ist es auch, nur noch wenige zentrale Anlaufstellen aufzusuchen, wo ich die immer gleichen Leute treffe, deren Ansichten den meinen ähnlich sind.

Aber zum Glück hält das Leben auch immer wieder Überraschungen bereit: Wenn jemand einen Blickwinkel mit mir teilt, aus dem ich eine Sache bislang nicht betrachtet habe, kann das meinen Horizont erweitern. Wenn ich auf meinem Radweg die Karte beiseite lege und einen ungeplanten Abstecher mache, einfach aus einer Laune heraus, entdecke ich vielleicht ein zauberhaftes Fleckchen Erde an einem See. Kurz: Es sind die Unvorhersehbarkeiten, die das Leben spannend machen, und die Widersprüche, die für Bewegung im Kopf sorgen. Und gerade aus unerwarteten Begegnungen und Erlebnissen wachsen manchmal die besten Ideen.

Ein Leben nur im Vertrauten würde sich sicherer anfühlen. Aber es wäre auch ärmer.

Elis Pariser beginnt sein Buch über die Filter Bubble mit einer persönlichen Erfahrung: Er habe bewusst auch Menschen zu seinen Facebook-Kontakten hinzugefügt, die politisch anders eingestellt seien als er – weil er Wert darauf legt, sich argumentativ auszutauschen. Doch der Facebook-Algorithmus hat diese Kontakte nach und nach aus seiner Timeline ausgeblendet: Zu wenige Gemeinsamkeiten, zu wenig Interaktion: Aussortiert. Und mit ihnen die politische Auseinandersetzung gleich mit.

Ich bin sicher, dass ich mit einigen Leuten aus genau diesem Grund zu Schulzeiten keinen Kontakt hatte: Wir tickten zu unterschiedlich. Das war vielleicht im Einzelfall keine kluge Entscheidung. Aber immerhin war es unsere Entscheidung. Und das sollte sie auch heute noch sein.

Wie einige andere fasse auch ich mich erstmal an die eigene Nase: Mein Blog habe ich für lange Zeit ziemlich vernachlässigt. Das allein ist nicht wirklich schlimm – es gibt eine Zeit für alles, und manche Dinge ändern sich nunmal. Aber: Ich habe nicht nur mein eigenes, sondern auch die Blogs anderer vernachlässigt. Oh doch, ich lese viele Blogs, nach wie vor und regelmäßig. Aber ich kommentiere dort kaum noch.

Früher war nicht nur mehr Lametta, früher war auch mehr Vielfalt. Mehr Unterschied. Widerspruch. Diskussion. Nein, nein: Früher war nicht alles besser. Es gab nämlich auch mehr Ärger. Gute Güte, wie wir uns manchmal nächtelang verrückt machten, weil wir in eine unangenehme Diskussion verwickelt waren, die schnell persönlich und hin und wieder auch verletzend werden konnte. Diesen Teil meiner Web-Vergangenheit vermisse ich kein bisschen. Aber vieles andere vermisse ich. Das Web, dieses wunderbare Medium, ist doch Perlen vor die Säue, wenn wir es nur noch zum Liken und Link-Teilen nutzen.

Natürlich, auch damals trafen wir uns immer nur in einer bestimmten Ecke des Internet, bildeten Cliquen, hockten ständig aufeinander. Aber allein durch die Kommentarfunktion eines Blogs, die dafür sorgte, dass eine Debatte (theoretisch) dem ganzen Web offensteht, traf man auf halt auch mal auf Widerspruch, andere Ansichten, konträre Meinungen. Und immer wieder auf ein interessantes Blog, das man bislang nicht in der Blogroll hatte.

Was ist jetzt also mit Facebook, Twitter und Google+, mit Instagram und Foursquare? Alle diese Plattformen nutze ich, und ich werde das auch künftig tun. Facebook eher für Privates (haha!), Twitter und (seltener) G+ vor allem beruflich. Aber auch ich will ein Stück von meinem Web zurück. Dabei geht’s mir nicht so sehr um die technische Kontrolle über die Plattform. Es lassen sich Mittel und Wege finden, auch die dort veröffentlichten Inhalte regelmäßig zu sichern. Mir geht es vor allem darum, dass ich mir nicht klammheimlich vorschreiben lassen will, mit wem ich an einem Tisch sitze. Und das geht nur, wenn ich öfter mal aus dem umzäunten Garten herauskomme und mich an all den öffentliche (Blog-)Plätzen sehen lasse. Es wäre sonst wirklich schade um die viele anregende Gespräche!

Mehr Debattenbeiträge:

Lasst uns das Web zurückerobern (Tanja)
Facebook, Twitter und das verwaiste Blog (Olivia)
Sind wir alle Iditioten (Jens Best)
Das Web zurückerobern – mit welcher Armee? (JoSchu)

5 Kommentare

  1. Ich mache gleich einmal, was man viel öfter tun sollte, und gebe meinen Senf als Kommentar ab (und nicht auf Facebook!): du triffst den Nagel auf den Kopf und den Vergleich mit dem Klassentreffen finde ich auch ziemlich treffend (auch, weil mir die Situation die du beschreibst sehr bekannt vorkommt). Fangen wir an, uns unser Web zurückzuholen – jeden Tag ein kleines Stückchen.

  2. Irgendwo muss man ja anfangen. Warum also nicht hier? :) Ich habe mir jedenfalls fest vorgenommen, hier wieder mehr Leben reinzubringen. Danke für deinen Kommentar, Tanja!

  3. Das isses, der Nagel auf dem Kopf, Mo! In den letzten Monaten habe ich so vielen Bloggern in die Kommentare geschrieben, dass sie bitte NICHT aufhören sollen zugunsten von Facebook (FB) und Twitter. Es gibt richtiger Perlen unter den Bloggern, die wollen alle aufhören und nur noch bei FB weitermachen, da sie glauben, in ihren Blogs zu wenig (!) Resonanz zu bekommen im Vergleich zu FB – dabei erkennen sie nicht, dass diese generierten Reaktionen und Leserzahlen nichts aber auch gar nichts mit echten Lesern zu tun haben. — Absatz —
     
    Ein Revival der Blogs – nichts wünschte ich mir mehr. Dennoch glaube ich nicht daran, temporär vielleicht, doch in 15 Jahren werden andere Kommunikationsformen stehen, die wir heute nicht weissagen können. Ich glaube auch nicht an den weiteren Erfolg von FB, das wird gottlob wie damals AOL sein Ende finden, doch es bedeutet nicht automatisch die Rückkehr zu den Blogs – leider! — Absatz —
     
    Dienste wie Twitter werden hingegen noch erfolgreicher werden als sie heute bereits sind, denn die Masse der Menschheit hasst die Ausführlichkeit und Differenziertheit, sie wird sich auch in Zukunft mit Werbeslogans und Zeichen von 160 zufrieden geben, nein , nicht nur zufrieden geben, es ist das, was die Masse will, ob bei der gedruckten Bildzeitung früher, Twitter gegenwärtig oder eine noch mehr vernetztere Welt der Zukunft. — Absatz —
     
    Es ist ähnlich wie mit deiner Vision einer neuen Onlinezeitung. 10 bis 30 % der Bevölkerung mag sich dafür begeistern, davon aber nur wiederum 10 % würden sie bezahlen, so dass sie wirtschaftlich nicht möglich sein wird. Blogs sind ausführlich, privat und machen ungeheuer viel Arbeit (deshalb schläft dein Blog ja auch), und wenn sie dann auf Dauer zu wenig Resonanz finden, weil die meisten sich mit SPON, Twitter & Co. zufrieden geben, dann wirkt es schlicht “anti-motivierend”. — Absatz —
     
    Auch wenn es sich blöd anhört, so glaube ich einfach, dass wir alt werden und früheren (besseren) Zeiten hinterher hängen. Es müsste eine neue Form der Kommunikation geben, die privat bleibt und doch den Wunsch nach “Social Communitys” in FB-Form entspricht. Am Horizont kann ich aber nichts erkennen, du?

  4. Nunja, vielleicht ist das weit verbreitete pauschale Bashing von sozialen Netzwerken und das In-einen-Topf-werfen von Diensten wie Facebook und Twitter ein Zeichen für fortschreitendes Alter – das kann schon sein. ;) Wie bei so vielem kommt es auch hier drauf an, was man daraus macht.

    Vor allem auf Twitter will ich nicht mehr verzichten, der Dienst ist eine wertvolle Nachrichtenquelle und seit langem unschlagbar darin, mich über exakt das, was mich interessiert, schneller zu informieren als jedes andere Medium. Und ja, dafür reichen sogar 140 (nicht 160) Zeichen, wenn sie mit einem weiterführenden Link verbunden sind oder aber mir eine Mini-Geschichte erzählen. Ich habe diese Erzählform sehr schätzen gelernt. Voraussetzung ist natürlich, dass man sich damit beschäftigt und seine Kontakte entsprechend wählt. Wie offline halt.

    Was Blogs betrifft: Es gibt viele Gründe, weniger zu bloggen – gute wie weniger gute, aber wer bin ich denn, dass ich diese Motive bei anderen beurteilen kann? Du kennst den Grund dafür, dass hier lange wenig los war, nicht – mit dem, den du oben wie selbstverständlich vermutest, liegst du falsch.

    Ich glaube, dass viele Publikationsformen nebeneinander Platz haben. Ich freue mich über jeden, der etwas zu sagen hat und sich dafür die passende auswählt. 

    Ich gehe gern ins Kabarett, aber ich verdrehe inzwischen nur noch die Augen, wenn dort mal wieder einer dieser wahnsinnig originellen Witze über die “Generation Twitter und/oder Facebook” fällt, über den vor allem jene im Publikum lachen, die sich das nie im Leben angeschaut haben (was nicht schlimm ist, jeder wie er mag). Diesen billigen Kulturpessimismus (Twittern als Zeichen für fortschreitende Anspruchslosigkeit, “Gefällt mir” als Ausweis für die Unfähigkeit, zu kommunizieren) teile ich nicht. Und das war auch nicht mein Punkt.

    Sondern: Mir macht viel mehr Sorge, dass wir nicht immer durchschauen, dass jemand oder etwas uns die Inhalte auswählt, die wir zu Gesicht bekommen. Da geht es übrigens nicht nur um Facebook, das geschieht auch außerhalb dieses Zauns, bei Google. Das war in meinem Beitrag der eigentliche Nagel. :) Wie die Überschrift schon sagen wollte: Für mich ist nicht der Zaun das Problem. Ich will die Kontrolle darüber habe, wen ich dahinter treffe. Oder, auf Google bezogen: Ich will selbst entscheiden, ob meine Suchergebnisse durch einen Geschmacks- und Interessensfilter laufen, bevor ich sie zu Gesicht bekomme, oder nicht. 

    Neben der fehlenden Kontrolle liegt in der Personalisierung des Web ein weiteres Problem: Es tötet Zufallsfunde und Kreativität. Ich zitiere nochmal Eli Pariser (Filter Bubble, wirklich zu empfehlen): 

    “Einstein, Kopernikus, Pasteur und andere große Entdecker dieser Welt hatten oft keine Ahnung, wonach sie genau suchten.”

  5. Meine Güte, ich schreibe doch nichts anderes, willst du mich missverstehen? Dann versuche ich es mal ganz kurz auf den Punkt zu bekommen:

    Sobald kommerzielle Interessen da sind, wird die Kommunikation niemals anders werden als sie heute ist – alles, was sich verändert, ist lediglich die Form; und das darüber hinaus gibt es immer nur für Cash.

    Die Personalisierung des Webs hat damit zu tun, wie viele Daten ich freiwillig abgebe. Wenn ich irgendwann ohne diese Abgabe nicht mehr an Sozialen Netzwerken teil haben kann, werde ich quasi erpresst. Dagegen sollte man etwas unternehmen.

    Wer freiwillig twittert, minimiert seine Möglichkeiten. Natürlich ist Twitter gut für kurzzeitige Absprachen etc. – aber das war doch nicht gemeint, ob 160 oder 140 Zeichen, Twitter ist als Blogersatz genauso armselig wie als Kommunikationsersatz.

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