Die NSA wird uns auch künftig überwachen, wo sie nur kann. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft nichts tun, um uns davor zu schützen. Im Gegenteil: Der BND betrachtet die Snowden-Enthüllungen als Machbarkeitsstudie – und will Geld, um all die schönen Technologien anwenden zu können. Und wir? Wir werden unsere Wohnungstüren noch bereitwilliger öffnen für das Internet der Dinge. Für fernüberwachte Rauchmelder und Smart Meter, die unsere Verbrauchsdaten digital an unseren Energieversorger übermitteln – inklusive der Luftfeuchtigkeit im Schlafzimmer. Und wenn er endlich da ist, der vernetzte Kühlschrank, auf den wir schon so lange warten, dann werden wir uns noch wünschen, er würde einfach nur unsere digitale Einkaufsliste verwalten – und nicht auch unsere Essgewohnheiten in die Welt twittern.
Ist das eine Kapitulation? Nö. Zunächst einmal ist es nicht mehr als die Erkenntnis, dass sich die Digitalisierung trotz Risiken und Nebenwirkungen fortsetzen wird – viel zu viele gute Gründe gibt es dafür. Da genügt ein Blick auf das saftige Grün meiner Pflanzen, die sehr viel besser gepflegt werden, seit mein Wlan-Pflanzensitter mir eine Pushnachricht aufs Smartphone schickt, wenn die Erde zu trocken oder Temperatur und Lichtverhältnisse ungünstig sind. Und auf das selbstfahrende Auto, das mich vor meiner Tür absetzt und dann eigenständig raus aus der Stadt kutschiert, freue ich mich jedesmal, wenn ich wieder mal Runde um Runde auf der Suche nach einem Parkplatz drehe.
Wird schon gutgehen
Digitalisierung und künstliche Intelligenz können das Leben bereichern. Ist Überwachung nun mal der Preis, den wir dafür zahlen müssen? Bleibt uns nur, darauf zu hoffen, dass von den Bergen aus Big Data um uns herum nicht irgendwann eine Lawine abgeht, die ausgerechnet uns trifft? Dass also die Krankenkasse aus unserer Vorliebe für ungesundes Essen schon keine Beitragserhöhung ableiten wird, und dass die Bank unsere Kreditwürdigkeit hoffentlich nicht herabstuft, bloß weil wir auf Facebook mit den falschen Leuten vernetzt sind?
Irgendwie braucht es mehr als nur die passive Hoffnung, dass es ganz so schlimm schon nicht kommen wird. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sogar noch schlimmer kommt. Und es gibt sie ja, die kreativen Ideen, wie sich die Digitalisierung unserer Lebensbereiche in die richtigen Bahnen lenken lassen könnte.
Eine hat Jens Scholz neulich auf der re:publica in Berlin vorgestellt, wo er über Smart Grid sprach, also das intelligente Stromnetz. Schlaue Stromzähler, so genannte Smart Meter, messen nicht einfach nur die Gesamtverbrauchsdaten, sie registrieren auch, wann der Strom verbraucht wird, und übermitteln diese Echtzeitdaten digital an den Energieversorger. Die Vorteile: Der Stromverbrauch lässt sich für beide Seiten besser steuern, Energieversorger können last- und zeitabhängige Tarife anbieten, die sehr viel differenzierter sind als nur “Tag” und “Nacht”; wir können unseren Verbrauch entsprechend umstellen, Energie und Geld sparen. Alles super, oder? Was allerdings, wenn so ein intelligenter Zähler manipuliert wird? Was, wenn sich jemand in die automatische Fernabschaltung hackt? Was, wenn das nicht nur in meinem Privathaushalt, sondern in einem Krankenhaus oder Kraftwerk passiert? Und überhaupt: Was, wenn unserer Strom- und Wasserverbrauch, aus dem sich die Zahl der Personen im Haushalt, deren Aktivitäten, ihre An- oder Abwesenheit in Echtzeit ablesen lassen, in unbefugte Hände fällt?
Jens Scholz schlägt vor: Nutzen wir die Vorteile von Smart Metering, ohne die potenziellen Nachteile in Kauf zu nehmen. Installieren wir die intelligenten Zähler doch auf eigene Faust – technisch ist das möglich. Wir hätten die Daten in unserer Hand, könnten Verbrauchgemeinschaften bilden und auf der Basis der eigenen Lastprofile Strom über die Gemeinschaft kaufen. Und wenn dann noch einige Haushalte dabei sind, die selbst Strom beispielsweise über Photovoltaik erzeugen, der sich messen und bepreisen lässt – dann könnte sich die kleine Stromgemeinschaft nicht nur selbst versorgen, sondern Überschüsse sogar verkaufen … Voilá: ein Schwarmkraftwerk!
Mehr Kontrolle
Ich glaube, dass die Herangehensweise sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen lässt. Wir sollten die Technik nicht allein denen überlassen, die sie gegen uns verwenden (können), sondern sie, wo immer das möglich ist, unter unsere eigene Kontrolle bringen. Muss die Wlan-Waage im Bad mein Gewicht wirklich über das Internet an mein Smartphone übertragen oder würde es nicht reichen, diese Daten via Bluetooth direkt zwischen den Geräten auszutauschen? Und der Tracker an meinem Handgelenk – könnte der nicht auch direkt mit dem Handy kommunizieren, ohne dass die Zahl meiner Schritte, die zurückgelegte Strecke und die bewältigten Stockwerke auf der Web-Plattform des Herstellers landen?
Letztlich geht es darum, die Hoheit zurückzuerobern – über unsere Daten, aber auch darüber, was technische Systeme können und dürfen. Digitale Selbstverteidigung wie IT Marke Eigenbau, Kryptografie und Surfen via TOR ist die eine Möglichkeit. Die andere, vielleicht noch wichtigere: Wir müssten uns dazu aufraffen, die Sprache zu sprechen, die unser Gegenüber versteht. Den Unternehmen also nur noch jene Produkte abkaufen, die uns erlauben, sie individuell nach auf unseren persönlichen Privatsphäre-Bedürfnisse einzustellen, und uns nicht in eine “Friss-oder-stirb”-Logik zwingt. Und nur noch jene Politikerinnen und Politiker zu wählen, die uns nicht wie unmündige Kinder behandeln, denen man was von Supergrundrechten vorfaseln kann, um sie dann nach Strich und Faden aushorchen zu lassen.
Den Vortrag von Jens Scholz gibt es auch zum Nachlesen auf Slideshare.