Szene aus "Das Leben der Anderen"

Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, remember?

Nennt mich meinetwegen naiv. Aber das Ausmaß der staatlichen Schnüffeleien, denen wir scheinbar hilflos ausgesetzt sind, hat mich umgehauen. Dabei kennen wir vermutlich noch nicht einmal die ganze Schweinerei. Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat den Vorhang nur ein kleines Stück beiseite gezogen. Das, was da zum Vorschein kommt, reicht aus, um noch den letzten Rest Glauben an die eigenen Grundrechte zu verlieren. Informationelle Selbstbestimmung? Staatliches Ausspähen von persönlichen Daten nur mit richterlicher Anordnung? Grundrecht auf Vertraulichkeit? Die Geheimdienstler dieser Welt biegen sich vor Lachen.

Und prompt heißt es an die Adresse begeisterter Internetnutzer: “Selbst schuld. Das habt ihr davon!” – gerade so, als gäbe es einen Zusammenhang zwischen der freiwilligen Preisgabe persönlicher Informationen und dem heimlichen Belauschtwerden durch einen Staat. Der britisch-deutsche Journalist Alan Posener sprach dieser Tage in “titel, thesen, temperamente” aus, was vermutlich viele denken:

“Das dürfen alle meine Freunde wissen. Das darf die ganze Facebook-Community wissen, aber der Geheimdienst bitteschön – das sind meine bürgerlichen Rechte! Come on, ich meine, get real! Was soll das?”

Ja, hey, was soll das? Recht auf Privatsphäre? Schutz vor staatlicher Überwachung? Get real! Wenn ich ausgewählte Informationen über mich aus freien Stücken mit bestimmten Menschen auf Facebook oder sonstwo teile, dann stehen diese Informationen den Geheimdiensten ja wohl erst recht zu!? Come on!

Natürlich weiß auch Alan Posener: Das, was “die ganze Facebook-Community” wissen darf, ein bewusst öffentliches Posting also, darf der Staat ohnehin sehen – alles andere wäre ja auch albern.

Darum geht es aber nicht. Es geht um eine ganz einfache Sache: Es ist mein Recht, selbst zu entscheiden, welche Information ich mit wem teile. Selbst dann, wenn ich mich dabei dumm oder fahrlässig anstelle. Selbst dann, wenn ich mal wieder versäumt habe, die erneut geänderten “Privatsphäre-Einstellungen” bei Facebook zu kontrollieren. Selbst dann, wenn ich mich nackt auf die Zeil stelle und die PIN meiner Bankkarte tanze. ICH entscheide das, sonst niemand.

Achso, und: Wer in meine Grundrechte eingreift, hat das gefälligst auf der Grundlage der Gesetze zu tun, die auch für mich gelten.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte bereits vor fünf Jahren:

“Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems ist grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.”
BVG-Urteil vom 27. Februar 2008

Aber keine Sorge: Der britische Außenminister William Hague hat eine beruhigende Botschaft für uns.

“We operate under the rule of law and are accountable for it. In some countries secret intelligence work is used to control their people – in ours it only exists to protect their freedoms.”

Achso, ihr seid die Guten. Ihr überwacht uns nur zu unserem eigenen Schutz. Dann ist ja alles gut.

Wenn Islamisten jemals das Ziel hatten, westliche Gesellschaften unfrei zu machen, sie haben es längst erreicht. Der eigentliche Terroranschlag gilt der Freiheit. Der Freiheit der Gedanken, der Freiheit der Kommunikation, der Freiheit, über das Maß an Öffentlichkeit selbst zu entscheiden. Wenn Menschen nicht mehr sicher sein können, dass Privatgespräche privat bleiben, dass sie selbst entscheiden, was vertraulich ist und was nicht, dann verändert das eine Gesellschaft.

“Wenn ich damit rechnen muss, dass meine Demonstrationsteilnahme registriert wird, weil ich dort gefilmt werde; wenn ich damit rechnen muss, dass eine politische Diskussion, die ich über eine Facebook-Gruppe führe, bei einem US-Geheimdienst landet; und wenn ich damit rechnen muss, dass das Telefonat mit Freunden nicht privat bleibt , dann ist ein allgemeines Überwachungs- und Unsicherheitsgefühl die Folge, und das ist für die Grundrechtsausübung sicherlich Gift.”
Peter Schaar, Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung

Mit anderen Worten: Das Gefühl, beobachtet zu werden, verändert unser Verhalten. Wir werden leiser, zurückhaltender, angepasster, unkritischer. Und schon kommen Ratschläge wie diese, am besten auch am Telefon nur noch übers Wetter zu reden:

“Wer private Dinge privat halten will, sollte sie daher nur selten oder gar nicht preisgeben und gegebenenfalls auf Internet oder Telefon verzichten. Datensparsamkeit ist immer noch eines der besten Mittel des Datenschutzes – was nicht da ist, kann nicht gespeichert und durchsucht werden.”
Ludwig Greven auf Zeit online

Fehlt nur noch der Tipp, die wirklich ganz und gar geheimen Dinge nicht mehr in der eigenen Wohnung zu besprechen, sondern sich darüber nur noch im Freien zu unterhalten. Viele Ostdeutsche dürften darin ja noch Übung haben.

Es geht nicht mehr um kleinkarierte Kinkerlitzchen wie die Frage, ob Google unsere Hausfassaden öffentlich zeigen darf. Es geht um nicht weniger als die Frage, wie stark wir unsere Freiheit einschränken lassen wollen, egal ob vom eigenen oder von einem anderen Staat – und wie wir die Oberhand darüber behalten zurückgewinnen, über diese substanzielle Frage selbst zu entscheiden.

“Derzeit gaukelt man uns weiterhin das Ideal von der freien Entfaltung der Persönlichkeit in einem freiheitlich-demokratischen Staat vor, während im Hintergrund die Geheimdienste verschiedenster Staaten unsere Kommunikation nahezu lückenlos überwachen bzw. eine solche Überwachung zumindest anstreben. Beide Aspekte sind miteinander unvereinbar.”
Rechtsanwalt Thomas Stadler

Unsere Regierung steht mit offenem Mund (Merkel) oder neidvollem Blick (Friedrich) vor dem, was die Geheimdienste anderer Staaten alles so können und alles so tun (und wünschten, der eigene wäre nicht ganz so bräsig). Die Justizministerin schickt zwei Briefe mit Fragen über den Kanal und holt sich erstmal eine Abfuhr. Der BND, in Sachen Internetüberwachung auch nicht ganz untätig, kommt derweil auf den Geschmack und will Milliarden haben, um sich sein eigenes Prism zu basteln.

Das ist zu wenig. Regierungen haben dafür zu sorgen, dass eine Gesellschaft über solche wesentlichen Dinge wie das akzeptable Maß an Überwachung selbst entscheiden kann. Achja: Und dafür, dass sich Geheimdienste an diese Entscheidungen halten.

3 Kommentare

  1. Das Ansinnen zu spionieren ist natürlich so alt wie die Menschheit, und dass die Schnüffler in Versuchung gebracht werden, kann man ihnen gar nicht vorwerfen, denn es war noch nie so leicht, jeden einzelnen Menschen dermaßend umfänglich zu beobachten, dass aber die technische Entwicklung des Kommunikationszeitalters völlig unbefangen und ohne besondere Aspekte auf den persönlichen Schutz sich explosionsartig entwickelt hat und dies auch weiterhin tut, ist die Herausforderung der gesellschaftlichen Zukunft.

    Das Internet mit all seinen Möglichkeiten verändere die Welt, die Gesellschaft, die Demokratie und die Politik, dessen waren wir uns bereits vor 15 Jahren bewusst, aber es wurden dabei fast wie in einem Rauschzustand nur die positiven Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung erörtert – dass der Mensch mit welcher neuen Technik aber niemals ein besserer Mensch dabei werden würde, das hat man beflissentlich missachtet. Nu’ ham wir den Salat.

    Da sich mit welchen Gesetzen auch immer der Mensch nicht ändern wird, und da es sehr wahrsch3inlich keine techhischen Lösungen zur definitiven Eindämmung solcher Art der Spionage geben wird, bleibt uns nichts anderes übrig, damit zu leben. Vielleicht wird sich unsere Gesellschaft tatsächlich in einer vorher ungeahnten Art und Weise verändern, indemm die ausnahmslose Transparenz eines jeden Einzelnen zu einer neuen Ordnung werden wird. Vielleicht wird dadurch menschliches Verhalten in all seiner Privatheit zur Banalität, und vielleicht bedarf es dadurch einer vollkommen neuen Politik.

    Ein Zurück auch aus dieser Transparenz wird es sicher nicht mehr geben, es sei denn, die Menschheit würde durch eine globale Katastrophe wie der beispielsweise eines Kometeneinschlages auf das Niveau der Steinzeit zurück geworfen, also bleibt ihr nichts anderes übrig als sich weiter zu entwickeln. Und am Ende könnte dies einfach ein weiterer evolutionärer Schritt sein. Jedenfalls würde ich dies als Chance denn als Katastrophe begreifen wollen.

    Sorry für die Tippfehler, ich schreibe dies hier via meines Tablets komfortabel aber ungeschützt im Garten sitzend auf der ungewohnten virtuellen Tastatur.

  2. Ja, ein guter informativer Artikel. Überhaupt wird heute an jeder Ecke gut, informativ und differenziert zum Thema berichtet.

    Es ist Wahlkampf, aber er ist so lau wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Es gibt zum ersten Mal vielleicht in der Geschichte der Bundesrepublik kein wirkliches kontroverses Wahlkampfthema, die Republik ist satt und zufrieden oder zumindest desinteressiert. Jeder ist froh, wenn es ihn persönlich und seiner Familie noch einigermaßen gut geht.

    Jetzt ist dieses aktuelle Thema der Spionage eines von den Journalisten künstlich erzeugtes Thema in allen Medien, das aber in der Bevölkerung kaum Widerhall findet. Ich prophezeie, binnen kürzester Zeit wird dies abgehakt sein und irgendein neuer Skandal wird anstelle dessen geraten. Und ich sage ebenfalls voraus, dass die Spionagetätigkeit insbesondere der Briten und der USA nicht im geringsten sich verändern wird – alles, aber auch wirklich alles wird bleiben wie sie ist.

    Was soll man denn tun, wenn die USA ungerührt so weitermacht? Botschafter ausweisen? Keine Geschäfte mit ihnen mehr machen? Krieg führen? Es gibt zudem keine technische Möglichkeit, die US-Spionage einseitig von uns aus zu verhindern.

    Wir werden uns daran gewöhnen, einerseits mit dieser Transparenz all unseren Tuns zu leben – so wie es die jungen Leute ja längst in den sozialen Netzwerken machen, und andererseits werden wichtige Gespräche wie eh und je persönlich oder verschlüsselt stattfinden.

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