Alte Liebe IX

Worum es geht.
Was zuvor geschah.

Am 13. November 1842 antwortet Luise. Dabei macht sie sich einen Spaß daraus, jedes von Levin geäußerte Wort auf die Goldwaage zu legen …

Auf mich selbst in Ihrem Roman bin ich sehr begierig. Es ist mir schon einige Male diese Ehre widerfahren, und obgleich die Dichter warme Freunde von mir waren und es mir triumphierend vorlasen, so habe ich doch jedesmal gefunden, dass es fürchterliche Grimassen waren. Man hatte mich genial schildern wollen, und es war barock geworden. …

Sind Sie auch heftig, lieber Freund? Ich fürchte mich ungemein vor heftigen Menschen. Ich selbst bin es noch nie geworden; das ist aber kein Verdienst; mein Vater verlor auch nie die Fassung, und ihm soll ich ja so sehr gleichen. Ich verliere aber eigentlich die Fassung; das heißt, bei Gelegenheiten, wo andere Menschen zornig werden, werde ich blass, zittere, und die Tränen stürzen mir unaufhaltsam aus den Augen, so bald ich sprechen will. Drum schweige ich lieber; denn ich weine nicht gern bei Menschen. …

Ich habe auch ein Märchen für Sie geschrieben, das bekommen Sie aber nun nicht, denn Sie würden es am Ende “überspannt” finden und es ein “zu Markte Tragen des Gefühls” nennen. … Sie sind eigentlich ein merkwürdiger Mann, Levin! Erst freien Sie um mich, weil Sie sich eine ungesehene Braut wünschen, und nun mokieren Sie sich über das ätherische Vis-a-vis! Ich bin eigentlich das natürlichste, einfachste Geschöpf der Welt, aber ich möchte die sehen, die an meiner Stelle ganz nüchtern bliebe! Wenn es wahr ist, dass die Liebe blind sein muss – dann ist die unsere die erste der Welt, denn so blind ist wohl keine. Moi je n’y vois rien, absolument rien – et vous, Monsieur?

Finden Sie auch, dass in unserem Wesen eine unendliche Ähnlichkeit ist? Nur natürlich sind Sie ein “Schriftgelehrter” und ich! Aber ich meine unsere Neigungen, unsern Geschmack! So zum Beispiel erklären Sie sich für eine Eiche, liebster Freund, das bin ich ja schon längst! Soll ich mich Ihnen zu Liebe zur Linde transformieren? Ich will es versuchen und meinen eichenhaften Charakter ganz aufgeben und durch und durch “linde” werden.

Wissen Sie, dass ich mich noch nicht entschließen kann, Ihnen mein Bild zu schicken, und bloß weil meine Verwandten finden, dass es hässlicher ist als ich. Es ist eigentlich eine dumme Eitelkeit von mir; denn Stirn, Augen und Nase sind sehr ähnlich; die Haltung, die Figur, selbst mein gebogener Nacken, den Herr Schramm “antik” findet, andere Leute meinen aber, ich halte mich nachlässig und es sei ein “krummer Buckel”. Aber seit Herr Schramm mich versichert hat, alle antiken hielten sich so, gebe ich mir auch keine Mühe mehr, obgleich dies in einigen Jahren ein sehr zweideutiges Kompliment für mich sein würde – l’antique!

Nun muss ich Ihnen aber doch auch sagen, dass ich Ihnen eigentlich bitterböse bin. Warum! Weil Sie gesagt, wenn Sie einmal bei mir wären, würde es Ihnen gehen wie dem alten Herrn, der wieder geschieden sein wollte. Abscheulicher Mann! Sie sollen mich nicht zu sehen bekommen! Also so wenig trauen Sie meiner persönlichen Liebenswürdigkeit zu? Das ist schön! Jetzt will ich, um Sie zu ärgern, alle meine häuslichen Tugenden aufzählen, da Sie nie deren froh werden sollen. Ich kann stricken, ich kann nähen, ich kann sogar eine “Weinsauce” kochen, das ist aber alles nicht für Sie, ungalanter Mann! Sie sollen ewig singen:

Es steht mir gar so fern
Es weilt so hoch, es blinkt so schön,
Wie droben jener Stern.

Also mein Bild bekommen Sie noch nicht, weil Sie so ungalant sind und – weil Herr Schramm mir einen so hässlichen Mund gezeichnet hat, mit herabgezogenen Enden, was ihm ein fatiguiertes, dedaigneuses Ansehn gibt. Das macht auch das ganze Gesicht älter; wenn man mich erkennen will, muss man ein Blatt Papier bis unter die Nase legen – es wäre vielleicht auch recht gut, wenn das Original zuweilen ein Blatt vor den Mund nähme …

Wissen Sie, dass Sie mich in Ihrem Briefe tief gekränkt haben und mir jede frohe Hoffnung auf eine lange Dauer unserer schönen Zuneigung genommen haben? Sie sagen, man müsse Sie, und überhaupt jedermann malträtieren, dessen Liebe man erhalten wolle – das sei das Geheimnis. Du guter Gott! Was ist das für eine russische Ansicht! Dort prügeln die Männer die Frauen, damit sie ihnen ergeben bleiben. Es ist kein Scherz, auch keine Koketterie, wenn ich sage, ich kann niemand malträtieren, denn ich bin nicht launig, das ist meine einzige gute Eigenschaft! …

Nun muss ich Ihnen noch von etwas sagen, womit ich eigentlich gerne meinen Brief angefangen hätte, wenn ich darüber etwas Gutes zu sagen wüsste, etwas Trostreiches. Ich meine, was Ihre gerechten Klagen betrifft! Weiß der Himmel, welch inniges, treues Mitgefühl ich dafür im Herzen trage, und dennoch ist mir bange, dass Sie sich wieder wie ein Pfeil in das Leben hinausschießen, aufs Ungewisse, in das Blaue hinein! Ich bin nicht von den Frauen, die durchaus verlangen, dass ein Mann ein Amt haben müsse (ich meine nicht ihr Mann, ne vous moquez pas!), um etwas in der Welt zu gelten; aber eine gewisse geregelte Beschäftigung, sei sie auch noch so klein, ist doch gut. …

Das kann ich Sie aber versichern, dass von all den lieben Briefen, die ich erhalten, niemand einen so langen wie Sie zur Antwort erhält. Niemand! Überhaupt habe ich in meinem Leben noch nicht mehr als einen bogenlangen Brief geschrieben, aber freilich – ich habe auch noch keinen Bräutigam gehabt. Doch nun ist es genug; meine Finger sind ganz lahm! Ade, Ade
Luise