Ausdrucksvermögen

Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden. Ich plädiere dafür, dass diese Warnung künftig nicht nur gegenüber Menschen in Polizeigewahrsam, sondern gegenüber allen zu fallen hat, die vor laufender Kamera befragt werden. Als Zusatz schlage ich vor: Und wehe, Sie drücken sich nicht allgemein verständlich aus. In diesem Fall behalten wir uns das Recht vor, Ihre Aussagen nach Belieben zu interpretieren. Oder Sie gleich für verrückt zu erklären.


Die Heerscharen von Küchenpsychologen, die allesamt noch nie den Beweis antreten mussten, dass sie sich nach mehreren Wochen Geiselhaft und Todesangst noch eloquent auszudrücken vermögen, die aber, angeheizt von der üblichen Journallie, eine wildfremde Frau mal eben öffentlich als Irre abstempeln – geschenkt. Die Legionen von Dumpfbacken, die nicht mal ihre eigenen Blogeinträge Korrektur lesen, aber wie die Gouvernanten pikiert auf einen Versprecher zeigen – was soll’s.

Richtig ärgerlich wird es aber, wenn sogar seriöse Tageszeitungen dem Objekt ihrer Berichterstattung Aussagen einfach in den Mund legen. So setzt die FR heute die Behauptung in die Welt, Susanne Osthoff habe angedeutet, der israelische Mossad habe mit ihrer Entführung zu tun. Hat sie das?

Das ZDF hatte ihre Bemerkung (jüdischer Geheimdienstoffizier) völlig anders eingeordnet (und das mit einiger Berechtigung, denn der Studioleiter in Kairo Luc Walpot hatte vor dem Interview ein intensives Gespräch mit Osthoff – im Gegensatz zu FR-Redakteuren im fernen Frankfurt). Nämlich als Hinweis, die Entführer hätten geglaubt, in ihr eine israelische Agentin vor sich zu haben.

Sven beklagt in Frau Osthoff und die Medien den journalistischen Dilettantismus, der sich von Anfang an durch den “Fall Osthoff” zieht, der IMO keiner ist, sondern ein “Fall Journalistenversagen” und ein Fall “Politikerversagen”; wie auch ein “Fall Bürgerversagen”, denn der gemeine Unterschichtenfernseh-Zuschauer frisst ja scheinbar alles an Gammeljournalismus, was ihm vorgeworfen wird und scheißt es kurz danach in jede Ecke weiter.

Ich könnt’s nicht verständlicher ausdrücken.

5 Kommentare

  1. Na, ob jemand unserer kompetenten Politiker nun die jemenitische Regierung bitten wird, ein Einreiseverbot für Herrn Chrobog auszusprechen?

  2. Eigentlich ist doch alles nur noch “Gammeljournalismus” – welche Publikationen bzw. Medien haben denn noch die finanziellen Möglichkeiten, wirklich hinter die Kulissen zu blicken. Und wenn sie sie haben, setzen sie sie tatsächlich dafür ein? Und wenn man ihnen einen Blick hinter die Kulissen gewährt, geht es meist mit manipulativer Absicht der Gewährenden einher. Und wenn Medien einen Fach-Korrespondenten vor Ort haben – dann stehen doch schon Heerscharen an professionellen wie Laien-Kritikern bereit, den Vor-Ort-Journalisten eine tendenziöse Berichterstattung in die eine oder andere Richtung vorzuwerfen…

  3. Ich freu mich auch im nächsten Jahr, hier wieder der Kehrseite des „Gammeljournalismus” zu begegnen. Beruhigend bereichernd. Danke! rüberschieb.

    Rutscht mal gut rein, ihr beiden. ;-))

  4. Dein Beitrag gefällt mir! Besonders dein Begriff “Gammeljournalismus”. Chrobog sagte die Tage, dass der Jemen doch sicher sei. Naja, ob die vier Europäer, die gestern oder vorgestern wieder im Rahmen einer Stammesfehde entführt wurden, auch so denken?

  5. @Gabi: Danke – ihr seid hoffentlich auch gut in 2006 angekommen!
    @Martina: Oh, der Begriff stammt nicht von mir, sondern von Sven – aber er könnte durchaus von mir sein… ;)

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