Stand der Dinge

Es hätte so schön sein können: Endlich ein Film, der von einer der spannendsten Phasen in der Geschichte der Medien erzählt. Ein Film, der beide Seiten eines Grabens beschreibt, der sich durch viele Redaktionen zieht: Auf einer Seite der Print-Journalist alter Schule, mit großer Leidenschaft bei der Sache, der mit einer gewissen Arroganz auf das Web und seine Protagonisten herabsieht, an seiner altbewährten Arbeitsweise festhält und am Ende doch nicht an der Tatsache vorbeikommt, dass seine Berufswelt nicht mehr ist, wie sie einst war. Und auf der anderen Seite eine Online-Journalistin, ebenso leidenschaftlich bei der Sache, ebenso wie ihr Kollege überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen, die lernen muss, dass neue Technologien altes Handwerk nicht komplett ersetzen können. Es hätte ein Film werden können, der zeigt, wie Print- und Onlinejournalismus zusammenwirken, sich gegenseitig befruchten, ergänzen können. Dass das eine nicht qua Definition wertvoller ist als das andere. Dass seriöser Journalismus seriös bleibt, ob gedruckt, gesendet oder auf dem Bildschirm, und dass Boulevard Boulevard bleibt, ob auf Zeitungspapier oder als Pixel. Ein Film, der seinen Titel verdient hätte: State of Play – Stand der Dinge.

Stattdessen: Ein Hohelied auf Zeitungsjournalismus ganz alter Schule – den einzig wahren, schönen, guten Journalismus. Die Redaktion des Washington Globe sieht aus wie weiland das Großraumbüro bei “Lou Grant”, und das ist 30 Jahre her. Naja – mein Beispiel zeigt, dass sich an dieser Kulisse auch im realen Leben nicht wirklich etwas geändert hat. Doch dazu später mehr.

Die Nische, in der unser Held Cal McCaffrey (Russell Crowe) arbeitet, quillt über von Papierstapeln. Die Botschaft: So sieht sie aus, die Arbeitswelt des Journalismus, wenn jemand schlampig und unorganisiert ist seinen Job ernst nimmt. Immerhin, Cal weiß, dass es Blogs gibt, und natürlich weiß er auch, dass Blogger keinen ernstzunehmenden Journalismus betreiben. Das lässt er seine Kollegin Della Frye (Rachel McAdams) spüren, die für den Globe das Capitol Hill Blog schreibt und den erfahrenen, älteren Kollegen um Hilfe bei einer Recherche bittet.

Bis zu diesem Zeitpunkt kann man noch glauben, dass dies die Story ist: Zwei Welten prallen aufeinander, misstrauen sich zutiefst, müssen aber miteinander klarkommen, weil sie eine gemeinsame Aufgabe haben, ein Komplott aufklären wollen – und revidieren im Laufe des Geschichte ihre Vorurteile, erkennen, dass sie voneinander profitieren können. Doch als Cal wenig später seinen alten Freund, den Politiker Stephen Collins (Ben Affleck), vor “Blutsaugern und Bloggern” warnt, was wohl so viel heißen soll wie “Blogs und schmieriger Boulevardjournalismus – alles dieselbe Kategorie”, ahnt man: Die Story ist eine andere.

Der Rest ist schnell erzählt. Der alte Hase hat den richtigen Riecher. Einer Verschwörung auf der Spur, lässt er sich gerne von der jungen Online-Kollegin zuarbeiten. Die vergisst verblüffend schnell, dass es das Web gibt, und kommt im Laufe der Geschichte nicht ein einziges Mal auf die Idee, das (Zwischen-)Ergebnis ihrer Recherche (es kommt, immerhin! Videotechnik zum Einsatz) online zu präsentieren. Stattdessen darf – und hier wird es vollends absurd – der Redaktionsschluss der Printausgabe als Spannungsmacher das Tempo bestimmen. Die Chefredakteurin (eine enttäuschende Helen Mirren) verschiebt diesen mehrfach, damit die Story noch veröffentlicht wird. Niemand erinnert sich mehr daran, dass es eine Alternative gäbe, einen Vertriebskanal ohne Redaktionsschluss. Als Della Frye ihrem Printkollegen schließlich bewundernd auf die Schulter klopft und (sinngemäß) sagt: “Ich finde, diese Geschichte ist so wertvoll, dass sie nur gedruckt erscheinen darf”, war ich kurz davor, das Kino zu verlassen.

Ich hätte rübergehen können ins Depot, an meinen Arbeitsplatz. Hätte mich in den Newsroom der FR gesetzt, der so neu und so modern und so ultimativ newsroomig ist, dass wir täglich von Besuchergruppen heimgesucht werden, die uns Futter staunende Blicke zuwerfen und mit ihren Kameras akribisch die Anordnung unserer Schreibtische festhalten. Gefragt, wie es sich darin arbeitet, hat uns noch niemand.

Die Antwort würde durchaus differenziert ausfallen. Denn im Grunde arbeite ich gern in diesem Newsroom. Alle Ressorts sind vertreten, man ist mit ein paar Schritten bei einem Ansprechpartner, man redet viel mehr miteinander, arbeitet enger zusammen. Und: Der Schallschutz funktioniert erstaunlich gut. Aber es gibt auch – ein Aber.


Es ist offenbar nicht ganz einfach, in einem 700-Quadratmeter-Raum das Klima so zu regulieren, dass sich alle darin wohlfühlen. In einem so großen Büro finden die beiden Extreme – Brüten in der Hitze oder Sitzen im Durchzug – problemlos nebeneinander Platz. Manche Kollegen haben keinen festen Schreibtisch, wechseln zwischen so genannten Funktionsplätzen. Eine individuelle Gestaltung des Arbeitsplatzes – Bilder oder dergleichen – ist da eher hinderlich.

Ich persönlich vermisse etwas anderes – das Tageslicht. In meiner Ecke des Raumes gibt es keine seitlichen Fenster. Ich merke nicht, wie es draußen dunkel wird. Ich nehme den Lauf des Tages nicht mehr wahr. Erst wenn ich Feierabend habe und mich auf den Weg machen will, stelle ich fest, dass das Wetter umgeschlagen ist.

Das mag aus unternehmerischer Sicht banal sein. Arbeitswelten haben vor allem funktional zu sein. Print, Online, Infografik, Bildredaktion, Layout, alles ist eins, und alles ist einheitlich. So ist das Konzept, soll es sein, ich will es gar nicht anders haben. Aber, ach – ein wenig mehr Platz für Individualität, ein bisschen mehr Sinn für menschliche Bedürfnisse, mehr Freiraum zum Ausleben von Spleens und Macken – das wär schon schön. Ich hätte nie gedacht, dass ich in Versuchung gerate, den Anblick eines unter Papieren begrabenen Schreibtischs zu vermissen.

2 Kommentare

  1. ja, es mag spacig aussehen, aber 40 stunden oder mehr pro woche stelle ich mir anstrengend darin vor. und tageslicht ist wichtig.

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