Spätes Dankeschön

Auf dem Lido ist er mir plötzlich wieder eingefallen, nach so vielen Jahren.
Ich erinnere mich vor allem an das Schmunzeln, mit dem er unsere Aha-Erlebnisse im Unterricht quittierte. Wie viele Deutschlehrer seiner Generation war er ein großer Thomas Mann-Fan. Ich gestehe: Damals, vor zwanzig Jahren, hätte mich bereits die erste Seite des Erwählten in die Flucht getrieben, hätte ich nicht einen Lehrer gehabt, der es glänzend verstand, in uns eine hartnäckige Neugier auf literarische Abenteuer zu entfachen.

Bei der Abifeier sah ich ihn das letzte Mal. Das war vor siebzehn Jahren.

Und dann der Spaziergang am Strand des Lido, der Blick auf eines dieser mondänen Hotels, in dem Thomas Manns Tod in Venedig spielt. Da fällt er mir wieder ein, der Mann, der vor zwanzig Jahren diesen Enterhaken nach mir geworfen hat. Ob es ihn noch gibt? Ob er an meiner alten Schule noch unterrichtet? Wieder zuhause, suche und finde ich ein Ehemaligen-Forum – ja, da ist er. Um die 60 müsste er jetzt sein. Ich schicke eine Mail ins Blaue.

Und er antwortet. Schreibt, er habe sich sofort erinnert. Ich traue mich endlich, ihm zu sagen, dass er damals eine Frisur wie Prinz Eisenherz hatte, und dass ich das Manuskript eines Buches, an dem er damals schrieb und das er mir geschenkt hatte, jahrelang in jede neue Stadt und in jede neue Wohnung mitgeschleppt habe.

Was die Literatur angeht, lasse ich mich immer noch gern als Verführer bezeichnen, schreibt er. Ich seh ihn schmunzeln dabei. Das Initiieren von Lernprozessen sei nach wie vor seine große Leidenschaft. Diesmal lernt er bereitwillig von mir, lässt sich erklären, was ein Weblog ist, und fasst zusammen: Willensbildungs- und Selbstfindungsprozesse in einem politischen Kontext mittels eines neuartigen austauschschnellen Kommunikationssystems. Wunderbar.

3 Kommentare

  1. An die Bildredaktion:
    Hey Mo, Du hast ja superschöne Fotos gemacht. Ich habe die eben erst entdeckt. Toll

  2. Hi Moni,

    Du hast echt Herrn Baumgärtner getroffen ? Habe natürlich sofort gewußt, wen Du meinst – spätestens die Prinz-Eisenherz-Frisur oder das Manuskript, aus dem er uns manchmal vorgelesen hat, hätte es verraten.

    Frohes Fest,

    Jörg Fried

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