Trauer-Spiel

Das Foto zeigt aufgebrachte Menschen, die vor einem Hospiz in Florida Plakate hochhalten: “Lasst Terri Schiavo leben”, steht auf einem. Auf einem anderen wird gemutmaßt, Terris Ehemann Michael Schiavo habe Kinder mit einer anderen Frau, und sein Kampf um Sterbehilfe für die hirntote Terri habe mit diesem Umstand zu tun. In der Bildzeile nennt die Nachrichtenagentur die Demonstranten “Unterstützer von Terri Schiavo”.

Auf einem anderen Foto, das die Online-Ausgabe der FAZ verwendet, hat sich eine junge Frau ein rotes Pflaster auf den Mund geklebt. “Life” steht darauf, und unter dem Bild: “Pro-Terri-Protestlerin”.

Zwei Fotos, zwei Bildunterschriften, die das ganze Dilemma um die seit 15 Jahren im Wachkoma liegende Terri Schiavo deutlich machen.

Medien greifen in ihrer Hilfslosigkeit zu Floskeln und merken nicht, dass sie damit Partei ergreifen oder gar Propaganda machen (Bush rettet Komapatientin).

Wer in diesem unsäglichen Drama handelt wirklich im Interesse der Kranken? Ist es der Ehemann, der sagt, seine Frau habe ein solches Leben nie gewollt, und der seit vielen Jahren gerichtlich um ihren Tod kämpft? Sind es ihre Eltern, die sich ebenso verzweifelt dagegen stemmen, dass man ihre Tochter sterben lässt?

Ist es Präsident Bush, der den frömmelnden Rechtskonservativen Futter geben muss, weil sie seine Wiederwahl ermöglicht haben? Sind es Medien wie der Katholische Nachrichtendienst, der aus dem Fall eine Art Fortsetzungsroman macht (Können George W. Bush, das US-Abgeordnetenhaus und der Senat den Tod von Terri Schiavo verhindern?)? Sind es die Richter, aufgrund deren Erlaubnis die Ärzte bereits drei Mal eine Magensonde entfernten – oder sind es ihre Kollegen, die das Wiedereinsetzen anordneten?

Haben Juristen, Politiker, Lebensschützer, Liberale, Medien, Kirchen, Blogger – haben all jene, die bei der Entscheidung über Leben und Tod von Terri Schiavo mireden wollen, eine Vorstellung davon, wie sich das das Einführen und Herausziehen des Schlauchs einer Magensonde anfühlt? Qualvoll – so viel glaube ich zu wissen, nachdem ich einmal sehen und hören musste, wie es geschieht. Terri Schiavo hat diese Prozedur bereits drei Mal über sich ergehen lassen müssen. Verhandlung – Urteil – Magensonde raus. Verhandlung – Urteil – Magensonde rein. Und so weiter, 2001, 2003, 2005. Und in den Tagen zwischen zwei Entscheidungen – halb verhungern und verdursten.

Die Geschichte von Terri Schiavo wühlt die Amerikaner auf wie schon lange nichts mehr. Doch der eigentliche Grund dafür liegt jenseits des politischen Missbrauchs und der medialen Inszenierung – er liegt in der Hilflosigkeit. Er liegt in der Tatsache, dass es auf manche Fragen einfach keine Antwort gibt.

Hilf mir doch. Der Satz ist irgendwo hinter meiner Stirn eingemeißelt, er fiel wieder und wieder, über Wochen fast jede Nacht, erst fordernd, später kraftlos, zum Schluss kaum noch verständlich. Ich saß an ihrem Bett, sah in ihre müden Augen und wusste, was sie meinte. Oder glaubte ich es nur zu wissen?

3 Kommentare

  1. Das Schicksal von Terri Schiavo geht mir auch sehr nahe. Jeder der Beteiligten um sie herum hat seine eigenen Beweggründe und Motive und die sind ganz sicher nicht frei von Egoismus und Eigennutz. Es ist schon furchtbar genug, wenn einen solche ein Schicksal trifft, sei es als selbst Betroffene/r, sei es als dazugehörige Familie und Freunde und es führt häufig genug in Zerreißproben innerhalb der Angehörigen. Man kann nur hoffen, daß einem selber eine solche Situation samt den daran hängenden Entscheidungen erspart bleibt – dabei kann es jeden jederzeit treffen. Ein Grund mehr sich über jeden Tag zu freuen, den man (einigermaßen) gesund und ohne solche schwerwiegenden Entscheidungen erleben darf. Ein Grund aber auch, sich zurückzuhalten damit sich in solche Entscheidungsprozesse einzumischen. Es gibt da wie auch in manchen anderen existentiellen Situationen kein allgemeingültiges “richtig” oder “falsch”. Mir tun alle Beteiligten einfach nur leid, denn nun sind sie endgültig zum Spielball auch der Politik und Medien geworden und letzteres weltweit. Jede zukünftige Entscheidung und Entwicklung steht von nun an endgültig unter Beobachtung der Öffentlichkeit. Was für ein Alptraum. Und Terri Schiavo? Es ist ja umstritten, wieviel Wachkoma-Patienten von ihrer Umgebung mitbekommen und in dem Fall kann man nur hoffen, sie bekommt nicht allzu viel mit. Allein die Spannungen, die zwischen ihrem Ehemann und ihren Eltern nun schon seit Jahren herrschen werden für sie zumindest atmosphärisch zu spüren sein.
    Was Du zum Thema Magensonde schreibst, daran habe ich auch schon denken müssen – was für eine Quälerei! :(

  2. Jon Steward hat in der Daily Show IMHO genau den richtigen Ton gefunden, um eine neue Perspektive in den Fall einzubringen. Er thematisierte den politischen Trubel um “Terry” und die emotionalen Reden der Abgeordenten, die Terry nie gesehen hatten – nur in der landesweiten Berichterstattung: Das bittere Fazi: jetzt wissen wir, wie schlecht es uns gehen muss, dass sich die Konservativen für unsere Gesundheitsversorgung interessieren.

  3. Ich wünsche mir nie in die Situtation von Terri zu komen. Jedoch wenn es passiert, hoffe ich auf einen Partner der so handelt wie ihr Ehemann und eine Familie die mich genug liebt um mich gehen lassen zu können.

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