Stille. Die Nachricht vom Tod Robert Enkes löst für einen kurzen Moment etwas aus, das in Zeitungsredaktionen sehr selten ist, auch in unserer. Die Redaktion ist nur noch spärlich besetzt um diese Zeit, lediglich die Spätdienste für Print und Online sind noch da. Ein gedämpftes Raunen wandert dann durch den riesigen Raum. Wer ist tot? Was hatte der denn? Wie ist das denn passiert? Es dauert kaum einen Augenblick, dann wird die Stille von hektischer Betriebsamkeit abgelöst. Denn das ist ja unser Job: diese Fragen zu beantworten. Der Sport-Kollege greift zum Telefon, versucht, mehr Informationen zu bekommen. Für die erste Online-Meldung begnügen wir uns mit einem mageren Absatz; noch weiß man ja kaum mehr, als dass der Nationaltorwart tot ist, tot sein soll, müssen wir vorsichtiger formulieren, aber schon Minuten später wird die Nachricht hart. Die Gestaltung der Zeitungstitelseite und des Sportressorts wird umgeworfen. Wir durchsuchen das elektronische Archiv nach älteren Bildern von Robert Enke. Eine Stunde später ist der Agenturtext auf der Homepage durch ein Autorenstück ersetzt, zeigen wir Enkes Karrierestationen in Bildern, haben wir ein Interview mit ihm von Weihnachten vor einem Jahr aus dem Archiv geholt.
Nachts, auf dem Heimweg in der Tram, denk ich: Morgen geht das erst richtig los. Dann werden die unscharfen Bilder von der Unglücksstelle, die die Agenturen seit 21:30 Uhr liefern (da ist Enkes Sprung vor einen Zug kaum mehr als drei Stunden her) zu üppigen Fotogalerien aufgeblasen. Dann werden Kommentarfelder umfunktioniert zu elektronischen Kondolenzbüchern (Büchern?) – man weiß gar nicht, wo man zuerst kondolieren soll, und ahnt schnell: Ums Kondolieren geht’s gar nicht. Kein Angehöriger kriegt das je zu sehen. Andere “Selbstmörder” werden ausgegraben, buchstäblich – um sie als Suizid-Parade in Bilderstrecken zu Klicks zu verwursten. Eine Agentur liefert eine “Karte zum Selbstmord von Robert Enke (Hochformat 60 x 120 mm)”: ein paar Straßenlinien, darüber zwei Pfeile mit Info-Fenstern (“geparkter Wagen”, “Unglücksstelle”). Damit wir uns das alles besser vorstellen können. Damit wir alle dabei sein können. Damit der Wirtschaftszweig, für den ich arbeite, möglichst viel Geld verdient.
Die Pietätlosigkeit der Medien zu geißeln mag müßig sein. Sie selbst haben sich davon nie bremsen lassen. Trauer kennen sie nicht, sie sind über etwas schon hinweg, bevor es geschehen ist.
schreibt Dirk Gieselmann bei den 11 Freunden so treffend. Autsch.
Muss das so sein? Geht das nicht anders? Pietätvoller? Nachdenklicher? Oder einfach nur etwas weniger geschmacklos?
Klar geht das.
Wo endet unser Job, umfassend zu informieren, und wo beginnt der blanke Voyeurismus, der sich nicht um Gefühle anderer schert? Im reflexbehafteten Arbeitsalltag bleibt schon mal unbemerkt, dass die Grenze überschritten ist. Man muss ja nicht gleich jeden Tag aufs Neue ins Philosophieren kommen, darüber, dass die Leute sowas nun mal lesen/hören/sehen wollen, und dass Medienkonzerne nun mal gewinnbringend arbeiten müssen. Oft geht’s durchaus auch eine Nummer kleiner.
Alles, was es braucht, ist ein wenig Innehalten. Eine Art inneres Stoppschild. Man könnte sich am Schreibtisch zum Beispiel mal kurz die simple Frage stellen: Was werden die Angehörigen empfinden, wenn sie sehen, was ich hier tue? Oder, wenn so viel Empathie schwer fällt: Wie würde ich das finden, wenn ich direkt betroffen wäre? So viel Zeit muss nicht nur sein – so viel Zeit ist meist auch. Wir haben ja auch sonst Zeit für jeden Scheiß. Vielleicht hilft der Rückgriff aufs eigene Empfinden, um sich bei der journalistischen Arbeit wieder mal zu erden. Medien mögen Trauer nicht kennen, aber Medienleute kennen sie. Gott sei Dank.