Sie leben länger, als Sie denken

Nicht unbeeindruckt von der politischen Halbwertzeit des BfA-Bescheids nahm ich unlängst Kontakt mit mehreren Versicherungsunternehmen auf, um mich über die Möglichkeiten einer zusätzlichen Altersvorsorge aufklären zu lassen.

Einer der Versicherungsverkäufer, mit denen ich dabei zu tun hatte, malt mir (und vermutlich allen anderen, deren Mailadresse er habhaft werden kann – ob sie nun Kunden bei ihm geworden sind oder nicht, scheint keine Rolle zu spielen) seither regelmäßig in düstersten Farben die bedauernswerten Lebensumstände aus, die mich erwarten, wenn ich nicht sofort (!!!) etwas unternehme.

Heute hing seiner Hiobsmail ein in einer schnörkigen Schriftart formatiertes, merkwürdiges Postscriptum an:

PS: Stellen Sie sich einmal vor, Sie könnten in der Zeit zurückreisen, in das Jahr 1912 und würden die Titanic beim Auslaufen beobachten. Was würden Sie den Passagieren sagen?

Schon klar: Dem Mann ist bei der Suche nach Assoziationen zu Altersvorsorge offenkundig irgendwann der Begriff Rettungsboot eingefallen. Eine fast perfekte Strategie, um Rentenversicherungen zu verkaufen – würde er seine potenzielle Kundschaft nicht im gleichen Atemzug daran erinnern, dass jeder auch vorzeitig den Löffel abgeben kann, wenn es das Schicksal so will.

Aber der Betreff seiner Mail (siehe oben) reißt natürlich alles wieder raus.

7 Kommentare

  1. Als Kind wurde uns ein schlechtes Gewissen gemacht: Iss deinen Teller auf, die armen Kinder in Afrika…
    Als Jugendlicher ebenfalls: Ich darf nur ans Rückenmark erinnern.
    Als junger Erwachsener: Da glauben sie deinen heutigen Beschreibungen und zahlen und zahlen…
    Als Erwachsener: Lohn weg, nicht mucken, sonst Arbeit weg.
    Als Rentner: Sei froh, deine Kinder krümmen ihre Rücken für dich.

    Irgendwie hilft Bange machen immer.

  2. Bange machen? Nein. Aber eins und eins zusammenzählen, das sollte schon jeder selber können – und dann seine Schlüsse daraus ziehen und eigenverantwortlich handeln, soweit das möglich ist.
    Ähm, was ist das für eine Geschichte mit dem Rückenmark? (Will ich das wirklich wissen…?)

  3. Hast du schon mal viele Menschen, also ich meine einen Staat oder eine Stadt, in ihrer Gesamtheit eigenverantwortlich Handeln gesehen? Falls ja, dann musst du mir unbedingt sagen wo bzw. wer das tut. Die Metapher “eigenverantwortliches Handeln” wird heute von den neoliberalen Kreisen (ich schreibe bewusst nicht Bürgertum oder FDP oder sonst etwas konkretes) als Begründung für die Beseitigung der Solidarität missbraucht. Schlimm daran ist, dass die Bürger dem zustimmen und mit wachsender Begeisterung und einem frohen eigenverantwortlichen Liedchen auf den Lippen ihre Sozialversicherungen zugunsten noch teurerer privater Versicherungen demontieren.
    “Eigenverantwortliches Handeln” ist nichts weiter als der geschönte Begriff des Egoismus Weniger. Ich möchte nicht ausschließlich eigenverantwortlich handeln, sondern möchte in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft leben, in der die gesellschaftliche Verantwortung und ein solidarisches Handeln als Prinzip des Zusammenlebens gilt.

    Natürlich verstehe ich, wenn jemand aus Angst private Vorsorge fürs Alter trifft. Ich meine aber, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

    Ds mit dem Rückenmark willst wirklich nicht wissen ;-)

  4. Sorry – auf den Begriff “eigenverantwortlich handeln” haben Neoliberale, soweit ich weiß, kein Patent. Ich bin so frei und verwende ihn nach meiner eigenen Definition.

    Eigenverantwortliches Handeln ist kein Widerspruch zum solidarischen Prinzip – im Gegenteil. Das eine macht das andere erst möglich. Nur wenn ich verantwortlich mit meiner Gesundheit umgehe, können von meinen Krankenkassenbeiträgen diejenigen therapiert werden, die weniger Glück haben als ich. Eine Solidargemeinschaft kann überhaupt nur funktionieren, wenn alle Beteiligten sich verantwortlich verhalten. Solidarisch also. ;)

  5. Hier wird mit dem Instrument der Angst und dem Bedürfnis der Geborgenheit gearbeitet. Und je abhärteter wir alle gegen die “Angstbilder” agieren, umso dramatischer werden diese. Ein doch recht bekanntes Phänomen der Strategie gegen Abstumpfung!

    Ich warte nur darauf, dass irgendwann eine Versicherung darauf kommt, mir eine Versicherung gegen den Tod anzubieten. Das wäre echt der Gipfel! (ne.. nix da, Folks! Sollte einer von Euch Versichereren jetzt auf die Idee kommen!! – Ich bekomme als Ideengeberin auf jeden Fall Tantiemen! Ist doch wohl klar!)

    P.S.: Dein neues Layout sieht wirklich super aus! Spitze!

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