Hochzeit in Stockholm

Holland ist schon morgens bester Laune. Königin Beatrix pfeift auf den abgesperrten Weg, rauscht stattdessen zu Fuß mitten durch die Menge, direkt an mir vorbei, was ich niemals werde beweisen können, weil just in diesem Moment die Kamera streikt. Spanien wirkt genervt: Sofia sitzt im Fonds eines noblen Wagens, guckt angestrengt und scheint etwas in ihrer Handtasche zu suchen. Für das gemeine Volk hat sie um diese Uhrzeit noch keinen Blick.
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Generalprobe

Was für ein Tag. Er beginnt mit einem schwedischen Frühstück (Köttbullar und Knäckebrot, kein Nutella) und endet mit einem alkoholreduzierten Bier. Achso, und einem unerwarteten Zusammentreffen mit Haakon, Mette-Marit, Felipe, Laetizia, Frederik, Mary, Albert, Willem-Alexander, Maxima, Beatrix, Margarethe, Silvia, Karl-Gustav, Daniel und Victoria. Doch dazu später mehr.
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Love 2010

Kurz vor 11 Uhr am Abend, ich sitze hinter schwedischen Gardinen und sehe zu, wie es draußen gerade erst dämmert. “Love 2010” war auf der Busfahrt vom Flughafen Arlanda nach Stockholm auf vielen Plakaten und LED-Bildschirmen zu lesen, der offizielle Slogan, mit dem das Land die Hochzeit der Kronprinzessin bewirbt, aber hier, ein paar Kilometer nördlich der Altstadt, ist zwei Tage vor dem großen Hochzeitsfest keine Aufregung zu spüren – keine Plakate, keine Fahnen, kein Fensterschmuck an den alten, imposanten Häusern, nichts. Man sagt den Schweden ja eine gewisse Gelassenheit nach; Sicherheitsfanatiker sind sie jedenfalls nicht, wenn man die Nicht-Kontrollen an den Flughäfen zum Maßstab nimmt. (Dafür kassiert die schwedische Airline SAS an Bord für Getränke und Snacks.)

2000 Journalisten werden zur Hochzeit von Victoria und Daniel erwartet, davon 1000 aus dem Ausland, davon wiederum 500 aus Deutschland. Dabei sind Vertreterinnen der Branche, die ganz privat hier sind, nicht mal eingerechnet!

Inzwischen ist es auch hier dunkel dunkler* geworden. Auf Schloss Drottningholm soll heute eine große Party steigen. Viel Zeit bleibt nicht: Um 3:30 Uhr heute Nacht geht die Sonne wieder auf.

(*richtig dunkel wird’s die ganze Nacht nicht)

Stimmung! Aber richtig!

Fußball-WM! Public Viewing! Bier und Fähnchen, Stimmung auf den Straßen und in den Kneipen, Autokorso und Fangesänge bis in die Nacht! Mei, wia schee, endli wieda, nach oi den Jahrn! Woaßt, des eizige, wos stört, sind diese Tinnitus-Drötn, diese Wu-wu-Dinger! Nein, des geht ja gar ned. Unerträglich! Unzumutbar! Des konn am den ganzn Spoass verderbn. A Frechheit von dene Ne Afrikanern da untn. Schlimm, des. Schlimma ois des Sparpaket. Verbotn gehört des. Des mit den Drötn, ned des mit dem Sparn bei dene Hartzvierlern.

Da zappt man einmal ins bayerische Fernsehen und landet ausgerechnet an Helmut Markworts Stammtisch, dieser öfffentlich-rechtlichen Plapperrunde, wo sich ein paar süddeutsche Mannsbilder gerade in bester Kolonalherrenmanier über Kulturunterschiede erregen. Diese Vuvuzelas, pikiert sich gerade der Gastgeber, sei wohl ein ortsüblicher Ausdruck von Stimmung, aber das wisse man ja, dass Stimmung ganz anders ausgedrückt gehört, nämlich so, wie wir das hier gewohnt sind. Markwort, du alte Stimmungskanone! Selten so krampfhaft gelacht. Und die Fußball-WM gehört ja eigentlich seit 2006 uns, gell? Und deshalb ist unser Kulturkreis der Maßstab, so stimmungstechnisch, oder wie jetzt?

Herrgottsakra! Man muss kein Freund der Vuvuzela sein, um sie am Kragen packen zu wollen, diese Stammtisch-Tröten. Man möchte ihnen den Marsch blasen, und zwar mit einer mitteleuropäischen Stadionhupe direkt ins Ohr, man möchte sie fragen, was als nächstes kommt: Wollt ihr vielleicht Fürstin Gloria aus ihrem Privatkapellchen zerren, damit sie uns mal wieder erläutern darf, wie er so ist, der (Süd-)Afrikaner? Wollt ihr eine Petition bei der Fifa einreichen? Wollt ihr uns jetzt wirklich für den Rest der Weltmeisterschaft mit eurem selbstgefälligen Genörgel über fremdartige Geräusche langweilen?

Ok, wenn’s sein muss. Aber dann bitte mit schwarz-rot-goldenen Perücken auf den Hohlköpfen. Stimmung muss sein!

Unruhen im Bundespräsidialamt

Zugegeben: Für ihr Tagesschau Extra zum Rücktritt von Horst Köhler hatten die Kollegen wenig Zeit. Eine knappe halbe Stunde verging zwischen der ersten Einblendung der Neuigkeit ins laufende Programm und dem Beginn der Sondersendung. Aber, ach: Hätten sie’s doch bleiben lassen und gewartet, bis sie genug Material zusammen haben.

Denn außer den Bildern von Köhlers Pressekonferenz hatten sie – nichts. Immerhin, von diesem Nichts haben sie kreativ Gebrauch gemacht.

Aus Brüssel wird Markus Preiß zugeschaltet, um mitzuteilen, dass die EU sich noch nicht offiziell geäußert habe. Das sei aber nicht ungewöhnlich, denn die EU wäre an Meldungen von ganz anderem Kaliber gewohnt, dem Rücktritt ganzer Regierungen wie der belgischen etwa.

Es folgt der Korrespondent aus Neu Delhi, Florian Meesmann. Er war live dabei. Also, nicht bei der Rücktrittserklärung oder so. Sondern bei dem Afghanistanbesuch Köhlers, an dessen Rande die umstrittene Äußerung über Bundeswehreinsätze gefallen war. “Am Rande” ist hier ein arg ausgedehnter Begriff: Köhler gab das Interview erst, nachdem er das Feldlager in Masar-e-Scharif (und damit auch den dort weilenden ARD-Korrespondenten Meesmann) verlassen hatte. Das wissen wir jetzt, dank der Schalte nach Neu Delhi.

Weiter geht die Reise um die Welt. Der Kollege in Paris vermeldet: Keine Reaktionen aus dem Elysée-Palast. Kein Wunder: Viele der eiligst angerufenen Kontaktleute aus der französischen Diplomatie hätten mit dem Namen Köhler erstmal nichts anfangen können, räumt der Korrespondent ein. Danke, Michael Strempel, nach Paris!

Jetzt aber: Berlin! Die ARD besinnt sich darauf, dass hier die Chancen größer sein sollten, jemanden zu finden, der Horst Köhler kennt. Doch statt Merkel oder Westerwelle sehen wir Ulrich Deppendorf, der die Rücktrittsbegründung Köhlers noch einmal in eigenen Worten zusammenfasst und mit sichtlicher Betroffenheit mitteilt, dass die Kanzlerin den Besuch im Quartier der deutschen Fußballnationalmannschaft abgesagt habe. Ob hinter dem Rücktritt denn nicht mehr stecke als die Kritik an Köhlers Bundeswehr-Äußerungen, wird Deppendorf gefragt – und gerät ins Spekulieren, über “Unruhen im Bundespräsidialamt”. Eine prima Überleitung zu den jüngsten Unruhen im Nahen Osten: Deppendorf geht kurz und einigermaßen zusammenhanglos auf den israelischen Angriff auf die Hilfsflottille vor der Küste Gazas am selben Tag ein – was für ein Nachrichtentag! – und stellt sich durch die Verquickung dieser beiden Themen selbst ein Bein: Der Köhler-Abgang jedenfalls “ist hier eingeschlagen wie eine…” naja, wer will in dieser Situation schon “Bombe” sagen. “…ja, eine Riesen-Sensation.” Das klingt ja sogar irgendwie positiv.

Als nächstes wird die Pressekonferenz wiederholt – “für alle, die sich jetzt erst eingeschaltet haben”. Anschließend wird Deppendorf ein zweites Mal nach den Beweggründen gefragt und wiederholt seine Spekulationen über jenen “letzten Stein, der ihn bewogen hat, das zu tun”. Und für alle, die sich nicht jetzt erst eingeschaltet haben: “Wir haben das ja jetzt mehrfach erwähnt”. Immerhin gibt ihm diese zweite Schalte Gelegenheit, zwei der inzwischen über Agenturen laufenden Reaktionen zu verlesen. Sie stammen von Horst Seehofer und Christian Wulff (sic). Deppendorf mitfühlend: “Gestern hat er noch Lena empfangen, heute das.”

Es folgt ein Beitrag von Anke Hahn über Köhlers Afghanistanbesuch und das Interviewzitat, der mir sehr bekannt vorkommt – vielleicht, weil er in voller Länge bereits am Anfang der Sondersendung gezeigt worden war.

Dann noch eine Schalte, diesmal nach Washington – und wir ahnen es bereits: “Hier gibt es noch keine Reaktionen”, sagt eine frühzeitig aus dem Bett gescheuchte Hanni Hüsch. Außerdem sei heute Feiertag in den USA. Achso. Köhler aber sei hier “ein durchaus bekannter Mann” – weniger wegen seiner Funktion als Bundespräsident, sondern mehr so von früher. Seinen Rücktritt werde man in Washington “zur Kenntnis nehmen, wenn das Land aufgewacht ist.” Gut zu wissen.

War’s das? Nicht ganz. ARD-Rechtsexperte Karl-Dieter Möller meldet sich noch kurz aus Karlsruhe, um mitzuteilen, dass “Verfassungsrechtler ziemlich sprachlos” seien. Nach seinem Dafürhalten aber sei der Rücktritt “korrekt, jedenfalls nach dem Grundgesetz.”

Was fehlte? Eine Auseinandersetzung mit den Äußerungen Köhlers und der Kritik, die er dafür bekam. Mein Kollege RJ hat bereits hier darauf verwiesen, dass die von Köhler beschriebenen möglichen Gründe für einen Bundeswehreinsatz bereits seit 2008 in dem Papier “Sicherheitsstrategie für Deutschland” der Unions-Bundestagsfraktion stehen. Köhler sprach demnach lediglich aus, was die Union denkt. Vor diesem Hintergrund ist die öffentliche Schelte gerade der CDU für Köhler besonders perfide.