Hochzeit in Stockholm

Holland ist schon morgens bester Laune. Königin Beatrix pfeift auf den abgesperrten Weg, rauscht stattdessen zu Fuß mitten durch die Menge, direkt an mir vorbei, was ich niemals werde beweisen können, weil just in diesem Moment die Kamera streikt. Spanien wirkt genervt: Sofia sitzt im Fonds eines noblen Wagens, guckt angestrengt und scheint etwas in ihrer Handtasche zu suchen. Für das gemeine Volk hat sie um diese Uhrzeit noch keinen Blick.

Es ist kurz nach 11, seit einer Stunde wird der Platz in der ersten Reihe an der nach Osten gelegenen Seeseite des Stockholmer Stadtschlosses eisern gehalten. Jetzt nur noch sieben weitere Stunden durchhalten. Ein Klacks. Im Rucksack liegen Wasserflaschen und Sandwiches bereit, viele haben sich auf Klappstühlen häuslich eingerichtet, und nachdem dieser fliegende Händler mit blau- gelben Fähnchen vorbeikam, ist die Flagge auch über diesem Quadratmeter gehisst. Der Standort ist perfekt gewählt: Diese Stelle werden Victoria und Daniel zweimal passieren – in der offenen Kutsche direkt nach der Trauung, die in der 250 Meter Luftlinie entfernten Storkyrkan stattfindet, und eine gute Stunde später nach der Fahrt durch die Innenstadt und der Bootstour, wenn sie hier wieder anlegen und über eine große Freitreppe ins Schloss gehen, wo sie von Familie und Gästen erwartet werden.

12:30 Uhr. Männer in blauen und grauen Uniformen rücken an, reihen sich entlang der Strecke auf. Sie bemerken eine Lücke, rücken nach links auf, reißen dabei ein Loch rechts, rücken ein wenig zu weit zurück, die Lücke links ist jetzt noch größer. Ein paar Stunden geht das jetzt so weiter: Mehr nach links, upps, zu viel, zurück, halt! Nicht so weit, wieder nach links…

Nach vier Stunden haben sich zwischen den Wartenden kleine Schicksalgemeinschaften gebildet. Man tauscht Kekse aus und Spekulationen über das Ziel der Hochzeitsreise (total geheim!) und die Auswahlkriterien für die aufgereihte Garde (total egal!), hält einander Plätze frei, wenn jemand eines der Dixieklos aufsuchen muss, die seit der Mittagszeit nur noch etwas für Hartgesottene sind.

14 Uhr. Die Busreisenden treffen ein. Wie am Vorabend wird der Hochadel mit Omnibussen herangekarrt. Schade, dass die Queen nicht zur Hochzeit kommt – das Empire hätte sicher einen Fensterplatz gewählt. Jeder Bus wird mit verzückten Freudenschreien und hektischem Fähnchenwedeln begrüßt, und hinter den Fensterscheiben heben sich behandschuhte Hände zum huldvollen Gruß. Da – war das Laetizia?

15:30 Uhr. Der Gottesdienst beginnt, die Menschenmasse dreht sich zur Großbildleinwand um. Als Victoria aus dem schwarzen Oldtimer steigt und die Kirche betritt, brandet Beifall auf. Als die Kamera die Schleppe erstmals in der Totalen zeigt, geht ein Raunen durchs Publikum. Beim Ja-Wort wird es still auf dem Platz – dann tobt der Beifall, und ein dreifaches “Bra!” aus hunderttausend Kehlen erschallt.

Daniel Westling, der soeben seinen Nachnamen eingebüßt hat, weckt mit seinem Händezittern beim Ringetausch offenbar bei vielen hier draußen Mutterinstinkte. Der Fanclub aus Ockelbo quittiert ohnehin jede Regung von Prinz Daniel mit frenetischem Applaus. Überhaupt herrscht Hochstimmung vor dem Schloss, und ich würde um nichts in der Welt jetzt mit den Gästen in der Kirche tauschen wollen.

Und dann, endlich, ist der große Moment da, der Augenblick, für den all die Menschen hier – wie viele werden es sein, eine halbe Million? – den ganzen Tag ausgeharrt haben: Gleich werden die frisch Getrauten hier vorbeikommen, nur fünf Meter von unserem Logenplatz entfernt. Vor der Kirche werden sie in die Kutsche steigen. Kutsche. Kutsche? Wo ist die Kutsche? Auf der Leinwand ist zu beobachten, dass sich Daniel und Victoria an der Kirchtür die Beine in den Bauch stehen (warum sollte das auch ein Privileg des gemeinen Volkes sein). Die Kutsche wird endlich an uns vorbei zur Kirche gebracht, begleitet von Berittenen in Paradeuniformen, die jetzt tierisch aufs Tempo drücken.

Das Ehepaar beginnt die Fahrt durch die Stadt, am Spalier Hunderttausender vorbei. Fotoapparate werden hochgerissen, Fähnchen mit der Aufschrift “Säg Ja” geschwenkt, immer wieder werden ihre Namen gerufen. Eine Art La-Ola-Welle spült Victoria und Daniel durch die Stadt und uns direkt vor die Füße. Hej!

Schweden kann zufrieden sein mit diesem Tag: Das Wetter perfekt, die Gäste friedlich, die Sicherheitskräfte hatten kaum zu tun. Die Initiative “Free Victoria”, die die Kronprinzessin nicht etwa vom Heiraten abhalten, sondern die Monarchie abschaffen will, hätte hier und heute keine Chance, Mitstreiter zu werben. Die Jets der Luftwaffe fliegeb exakt in Formation, das Boot legt pünktlich ab und wieder an, niemand verzählt sich beim Salut (21 Kanonenschüsse). Am Schloss werden die beiden von uns, Daniels Eltern, Carl-Gustav und von einer erneut zu Tränen gerührten Silvia in Empfang genommen (schon gestern war zu sehen, dass Victorias Mutter dieser Tage nah am Wasser gebaut hat, und nein, dies ist keine Anspielung auf die geografische Lage des Schlosses). Finale fürs Volk: Der Kuss auf dem Balkon – von hier unten wirkt er glaubwürdig. Und dann noch Roxette als Gäste beim Bankett, das vom schwedischen Fernsehen bis in die Nacht übertragen wird.

Bleibt nur eine Frage: Wo ist Abba?

Stockholm wirkt heiter und gelöst heute Abend. Vielleicht ist das hier immer so, wenn ein schöner Frühsommertag zu Ende geht und die Abendsonne die wasserumspülte Gamla Stan in ein goldenes Licht taucht. Aber heute hier zu sein, fühlt sich außergewöhnlich an.

Fotos folgen hier.

3 Kommentare

  1. Toll geschrieben, ich fühlte mich mittendrin. Und nur einen einzigen Tippfehler, SON macht pro Artikel mittlerweile etliche.

    Nein wirklich, warum nur finde ich als Linker das auch sooo romantisch und könnte vor Glück mitheulen? ;-)

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