re-publica, Tag 1: Mythen der Blogosphäre

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Jan Schmidt nimmt einige Mythen über Blogger (männlich, Freiberufler, Dreitagebart, Übergewicht) unter die Lupe:
Republica 2007
Die Mythen über die Blogosphäre, die als Ergebnis einer Umfrage vor einiger Zeit veröffentlicht wurden, stellten sich bei näherer Betrachtung als Befragung ausschließlich unter Friendscout24-Nutzern über 18 Jahren heraus. Aus dieser Umfrage wurde auf die Gesamtheit der Blogger geschlossen – fragwürdig, findet Jan Schmidt und setzt dem eine eigene Untersuchung entgegen. Nach Zahlen aus 2005 ist der Anteil von Männern und Frauen unter den Bloggern nahezu ausgeglichen: 46 Prozent weiblich, 54 Prozent männlich. Aber: Unter den Top-100-Bloggern 2006 hingegen waren 20 Prozent weiblich, 80 Prozent männlich. Meistgelesen, meistverlinkt, meistbeachtet sind also die männlichen Blogger.

re-publica 2007 Dem Mythos von der Gegenöffentlichkeit (Blogs als Alternativ-Medium) stellt Schmidt gegenüber, dass Blogs in zunehmendem Maße von professionellen Journalisten geschrieben würden. Und dass in Weblogs in erster Linie Massenmedien verlinkt würden. Aus dem Publikum kam der Einwurf, dass Blogger in vielen Fällen Massenmedien nicht einfach nur zitieren, sondern kritisch hinterfragen und ihre Texte nach allen Regeln der Kunst zerpflücken – also durchaus eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Für mich – als Journalistin, die privat bloggt – gilt zumindest: Vieles von dem, was ich in meinem Weblog schreibe, kann ich so nur dort äußern; besonders, wenn es um Kritik an dem Medium geht, für das ich tätig bin (wobei ich hier schon darauf achte, eine Grenze der Zulässigkeit nicht zu überschreiten – ich mag meinen Job gerne behalten). An manchen Tagen und in gewisser Weise ist mein Blog also “Gegenöffentlichkeit”. Und an anderen Tagen ist es persönliche Öffentlichkeit – das also, was Jan Schmidt als Öffentlichkeitsbegriff für die meisten Weblogs ausmacht. An erster Stelle der Themen in Blogs stünden Berichte aus dem Privatleben; politische Beiträge machten etwa 30 Prozent aus.

Auch auf den Mythos von der Irrelevanz (99 Prozent = Müll, Klowände etc.) ging Schmidt ein. Nach seinem Eindruck werden solche Urteile zumeist von Vertretern klassischer Kommunikationsberufe gefällt, die den Fehler machten, die Bedeutung von Weblogs mit dem gleichen Maßstab zu messen wie ein Massenmedium. Die alte Regel aus einer Zeit, da nur wenige die Möglichkeit zum Publizieren hatten – “Alles, was öffentlich gemacht wird, hat gesellschaftliche Relevanz” – gelte jedoch nicht mehr. “Es geht um persönliche Relevanz, nicht mehr um gesellschaftliche.” Banalisierungsversuche gebe es aber auch innerhalb der Blogosphäre. Jan Schmidt meint dazu: Blogger sprechen abfällig über Katzen-Content oder Strickblogs, um selbst bedeutender zu erscheinen.

Sein Fazit:

  • Es gibt kein richtiges Bloggen. Was Bloggen ist, wird ausgehandelt – stets neu.
  • So genannte A-Blogger prägen das Bild von Weblogs – nach innen ebenso wie nach außen.
  • Im Long Tail – dem langen Schwanz der unbekannteren Blogger – finden sich in erster Linie “Persönliche Öffentlichkeiten”.
  • Allen Mythen ist gemeinsam: Sie bilden immer nur einen kleinen Ausschnitt ab. Will man Blogger ernst nehmen, muss man den Long Tail ernstnehmen.

Don Dahlmann, Matthias Oborski, Silke Schippmann und Nicole Simon (von links) berichten über ihr “Leben im Netz”:
Republica 2007
Silke Schippmann (XING) warnt vor “falsch verstandener Meinungsfreiheit” und beklagt fehlende Medienkompetenz: Auch in ihrem Business-Netzwerk komme es immer wieder vor, dass Leute ausfällig werden oder schlecht über ihre Firma reden. Den meisten sei dabei scheinbar nicht bewusst, wo sie sich gerade befinden: “Der Chef liest mit.” Teilweise müsse man die Leute vor sich selber schützen. Wenn Mahnungen nicht helfen, fliegt auch mal jemand raus – das kommt laut Schippmann etwa zweimal im Monat vor.

Für Nicole Simon ist das Internet wie warmes Wasser: Klar könne man mal drauf verzichten, bei einem Abenteuerurlaub etwa – aber warum sollte man? Das Kontakteknüpfen übers Netz ist für sie deutlich effizienter: Im “echten Leben” müsse sie sehr viel mehr Menschen treffen, um irgendwann die Handvoll gefunden zu haben, die ähnliche Interessen teilen.

Disclaimer: Es handelt sich um sinngemäße Zitate, nicht notwendig wörtliche – ich bitte alle Erwähnten um Verständnis und um Hinweis, wenn sich jemand falsch wiedergegeben fühlt …