Vom Fall der Anonymität

re:publica 2012 in der Station Berlin

Autsch. Das tat weh. Die re:publica in Berlin startet mit einer Mahnung, die viele von uns vermutlich nicht gerne hören. Es geht um Überwachung und Kontrolle, um unsere Daten in den Händen von Mark Zuckerberg und unsere Träume, Ängste, Sehnsüchte im Suchschlitz von Google. “Wir werfen sie dort hinein, und die essen sie auf und sagen uns dann, wer wir sind.”

Eben Moglen, Professor für Recht und Rechtsgeschichte an der Columbia Law School in New York, wandert wortgewaltig auf der Bühne hin und her wie ein Prediger und warnt vor dem Untergang. Nicht den Untergang der Welt, sondern den Untergang der Freiheit (und damit eben doch der Welt, wie wir sie kennen). Er holt weit aus, um uns daran zu erinnern, dass die Freiheit uns nicht in den Schoß gefallen ist; er spricht von den blutigen Kämpfen vergangener Jahrhunderte, als Menschen starben für die Freiheit des Denkens und der Rede, als sie auch unter der Folter Geheimnisse Dritter wahrten, als sie ihr Leben riskierten, um Bücher und Wissen zu verbreiten, und sich einsperren ließen für ihren Widerstand gegen Beobachtung und Kontrolle.

Im Internetzeitalter dürfen wir alles lesen, alles hören, alles sehen – und uns dabei rundum überwachen lassen. Jede Bestellung, jedes Suchanfrage, jeder Standortwechsel wird registriert. Oder, wie Moglen es formuliert: Wir konsumieren nicht mehr die Medien – die Medien konsumieren uns.

Dass einer ein Künstler ist, sei keine Garantie dafür, dass er moralisch handle, sagt er und nennt Albert Speer. Auch Steve Jobs sei auch ein Künstler gewesen. Aber: “Mit jedem neuen Produkt, das er erfand, brachte er uns näher ans Ende der Freiheit – weil er das Teilen hasste.” Computer und Smartphones mit geschlossenen Betriebssystemen, Musik- und Buchläden mit proprietären Formaten, Online- Händler, die ein eBook, das wir gekauft haben, einfach mal eben vom Reader löschen können, wie Amazon es 2009 mit “Animal Farm” getan hat, weil es uns zwar gehören mag, wir es aber nicht besitzen: “Das ist Zensur.”

Die Stasi, käme sie heute wieder, müsste sich nicht mehr groß anstrengen, denn Mark Zuckerberg mache ihren Job besser als sie. Er weiß alles über uns und unsere Freunde und Bekannten und deren Freunde und deren Bekannte, und wer wird ihn daran hindern, sein Wissen zu verkaufen, an Firmen sowieso, aber auch an Staaten, wenn die ihm nur genug Geld bieten? Ja, wer? Wir? Achso?

Aber wie denn? Sollen wir zurückkehren in die analoge Welt, Online-Netzwerk-Verweigerer werden, eBooks ignorieren, nie wider bei Amazon kaufen, wieder auf CD und DVD umsteigen, keine Suchmaschinen mehr nutzen? Nö. Wir sollen einfach nur unsere Freiheit zurückerobern, meint Eben Moglen und nennt die Dinge, die der Mensch dafür braucht:

Freie Medien – denn ohne freie Medien verlieren wir die Freiheit der Gedanken. Freien Netzzugang. Netzwerke, deren Nutzer nicht Sklaven sind, sondern Kontrolleure ihrer eigenen Gedanken. Freie Software, die wir kopieren, modifizieren, weiterverteilen können. Freie Hardware, die uns auch wirklich gehört, wenn wir sie bezahlt haben.

Selbstbestimmung, Anonymität, Freiheit: “Wir hatten fast alles. Wir gaben es aus der Hand, nur weil Mr. Zuckerberg uns darum gebeten hat.” Wir sind aber auch die Generation, die es in der Hand hat, die Entwicklung zu stoppen, meint Eben Moglen – weil wir die letzte Generation sind, die beides kennt: das Leben vor und nach dem Fall der Anonymität.

Ok, ok: Neu sind diese mahnenden Worte nicht. Aber auch (oder gerade?) die re:publica ist ein guter Ort, um sie zu wiederholen. Das fanden offenbar viele: Eben Moglen hat für seinen flammenden Eröffnungsvortrag lang anhaltenden Beifall bekommen.

PS: Draußen im Foyer des wirklich großartigen Veranstaltungsortes steht eine Art Passbildautomat, der ohne zu fragen via Twitter verbreitet, wer sich darin fotografieren lässt. Eben Moglen hat Recht. Die Dinge geraten außer Kontrolle. Wir müssen dringend was tun.

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.