Der Rechtsweg ist nicht ausgeschlossen

Um Mörderbanden zu bekämpfen, darf ein Staat sich nicht selbst zur Mörderbande machen, hab ich sinngemäß den früheren Bundesinnenminister Gerhard Baum dieser Tage sagen hören. Die sich angesprochen fühlen dürfen, werden es nicht gehört haben. Irgendetwas läuft furchtbar schief, wenn Rechtsstaaten, die sich als Bollwerk der Demokratie begreifen, das Recht mit Füßen treten. Ich gestehe:

Ich kann der Strategie der gezielten Liquidierung durchaus etwas abgewinnen. Solange es die Richtigen trifft. Hitler zum Beispiel wäre der Richtige gewesen, damals. Die Deutschen hätten ihn wohl kaum rächen wollen.
Saddam hätte niemand eine Träne nachgeweint, wenn die erste Granate ihn getroffen hätte. Hat sie aber nicht. Stattdessen trafen viele weitere Granaten viele Unschuldige. Auch um die Demagogen Yassin und Rantisi ist es nicht schade, wohl aber um jene Israelis, die sehr bald der blinden Rache militanter Palästinenser zum Opfer fallen werden. Und mit jeder Liquidierung werden sie zahlreicher.
Im Nahen Osten gießen die Tötungen von Staats wegen Öl in ein Feuer, das bereits lichterloh brennt. Wer bleibt denn noch, die Demokratie zu verteidigen, wenn der einzige Rechtsstaat weit und breit den Rechtsweg verlässt?

20 Kommentare

  1. Ich muss wohl, nicht wahr? Auch wenn es mir schwer fällt, ehrlich. Tatsächlich gibt es kaum ein rationales, strategisch vernünftiges Argument gegen deine Argumentation – außer vielleicht, dass die Hamas durch die “targeted killings” viel mehr geschwächt wird, als es die Kommentatoren in der europäischen Presse darstellen oder wahrhaben wollen. Und das nur hier die Leute glauben, dass es Verhandlungen mit der Hamas und politische Rationalität im Umgang mit ihr und ihren Anhängern geben könnte. Auch wenn es durch die Liquidierungen immer mehr Hamas-Anhänger geben könnte. Und ob der Rechtweg eine Rolle spielt, wenn man sich in einem (kaum verdeckten) Krieg befindet?

    Auf der emotionalen Seite auf jeden Fall: Ich hab mich gefreut, als es Yassin erwischt hat, und ich hab gejubelt, als es Rantisi erwischt – ein elender Scharfmacher. Und, zugegeben, ich hatte trotzdem ein ungutes Gefühl, ob es Scharon nicht übertreibt. Vielleicht wird mir Natan Sznaider morgen im FR-Feuilleton helfen – ich hoffe es.

  2. Ich geb dir völlig Recht: Verhandlungen oder politische Rationalität im Zusammenhang mit der Hamas, darauf wird man vergebens hoffen. Und genau deshalb ist es fatal, dass dieser kriminellen Bande immer mehr Anhänger geradezu in die Arme getrieben werden!

  3. Kalte Krieger
    Dämagogen? Wenn ich jeden umbringen darf aufgrund seiner irgendwann mal geäußerten Meinung, dann kann ich die Hälfte der Menschheit reinen Gewissens umbringen.
    Wie kann man sich freuen, wenn jemand ohne Gerichtsverhandlung umgebracht wird? Das gilt für alle Seiten – aber will einfach nicht in meinen Kopf.

    NS-Deutschland verpflichtet mich als “Nachgeborener” mich einzusetzen, dass so etwas NIE MEHR PASSIERT.
    UNRECHT bleibt Unrecht – und wer sich über Attentate oder Mordanschläge freut… nein, so bekommen wir keine neue Welt, das ist die altbekannte hormongesteuerte Dummheit des Seins.

  4. Eines ist klar: Sowohl der lahme Scheich als auch Rantisi waren üble Hetzer und Mörder. Die haben nicht mal “irgendwann eine Meinung geäußert”, die haben dazu beigetragen, den Nahen Osten in Brand zu setzen und dabei den Tod vieler Menschen, darunter Kinder (!) billigend in Kauf genommen. Ob man sie dafür ohne Gerichtsverhandlung hinrichten darf, steht auf einem ganz anderen Blatt.

  5. @Georg: Ach so? Ich dachte, NS-Deutschland hätte auch gelehrt, dass ein erfolgreiches Attentat auf Hitler Millionen Menschen Leiden und Tod erspart hätte?! Oder hast du das in der Schule nicht gelernt? Oder wäre ein erfolgreicher Elser oder Stauffenberg auch “hormongesteuert” dumm gewesen?

  6. 1. hinkt der Vergleich (Hitler ist “völkermordstechnisch” einzigartig),
    2. ist Israels Staatsmorden ein zivilisatorischer Rückschritt, da eine Regierung willkürlich entscheidet, wen sie tötet,
    3. verstoßen solche Handlungen gegen die Menschenrechte,
    4. erfüllen sie alle Kriterien bisher vieler internationaler Definitionsversuche des Begriffs “Terrorismus”.
    Im übrigen ist dies alles eine Sache der Betrachtungsweise: Für beide Parteien bedeutet das jeweilige Handeln des Anderen Terrorismus. Insofern gibt es keinen Fortschritt und keine Entwicklung. Erst wenn alle aufhören sich über den Tod des Anderen zu freuen, kann ein Friedensweg begonnen werden. Dazu müssen viele und musst du, ojb, noch eine Menge lernen. Friede beginnt im eigenen Kopf.

  7. Ja, lernen müssen wir alle noch viel. Du, Georg, könntest beispielsweise mal lernen, dass eine kontroverse Debatte nicht zwangsläufig persönliche Bemerkungen über Menschen enthalten muss, die man nicht kennt. Denn wie sagst du so richtig: Friede beginnt im eigenen Kopf. ;)

  8. Ich finde, dass Debatten immer und grundsätzlich persönlich geführt werden sollten, da sie sich nur dann vom tagtäglichen Einheitsgewäsch, bei dem jeder Mensch verantwortungslos sagt/schreibt, was er will, abhebt.
    Man sollte nur nicht andere Menschen beleidigen o.ä. – was ich auch hier nicht mache, ojb hat genug Selbstbewusstsein und geht damit als Ex-Sozialpädagoge bestimmt souverän genug um ;-))

  9. Für ein paar deutliche Worte bin ich immer zu haben, also sei’s drum:
    – Mit Terroristen vom Schlage Rantisis kann man nicht diskutieren;
    – die Hamas will Israel in jedem Fall vollständig vernichten und kennt dabei keine Kompromisse – und ihr Terror hat von daher auch nichts mit der Besetzung des Westjordanland und den Schikanen für die dortige Bevölkerung zu tun;
    – von daher geht der Terror eindeutig von der Hamas aus;
    – von daher sind die “targeted killings” Reaktionen auf Terror und nicht gleichartiger Terror;
    – es gäbe keine “targeted killings”, wenn es die Selbstmordattentate, die sich vorrangig gegen Nicht-Kombattanten wie Frauen und Kinder richten, nicht gäbe;
    – Frieden kann es geben, wenn es einen Friedenspartner gibt, mit dem man rational verhandeln kann;
    – Frieden schließen hat nichts mit “Frieden im Kopf” zu tun, sondern mit konkreten Verhältnissen (wie Rabin sagte: “Frieden schließt man nicht unter Freunden”);
    – wenn mir jemand mal gegenüberstehen sollte, der mich partout umbringen will und der sich auf keine Deeskalation des Konflikts einlassen will, dann bin ich froh, dass ich nicht zuviel “Frieden im Kopf” habe und dafür lasse ich mich auch gerne als “Bellizist” titulieren.

  10. Mit der Hamas wird doch überhaupt nicht verhandelt, um zu einem Frieden zu gelangen. Genausowenig hatte Bundeskanzler Schmidt mit der RAF verhandelt. Terroristen festnehmen und sie vor Gericht zu stellen, dagegen ist nichts einzuwenden – sie aber ohne Gerichtsverhandlung staatlich abzuschießen, das verstößt gegen internationales Recht.
    Wer ein Terrorist ist, hat Scharon nicht alleine zu bestimmen! Und seine jüngsten Drohungen gegen Arafat zeigen doch bereits seinen Wahn.
    Ich betrachte mich mein ganzes Leben lang als ein Freund Israels. Ich sehe die Notwendigkeit eines starken Israels. Aber ich bin deshalb nicht blind gegenüber einem Kriegshetzer Scharon. Wie Milosewitsch gehört er vor Gericht in Den Haag.
    Darüberhinaus schadet er ungemein dem Ansehen Israels in der Welt. Er schadet der israelischen Demokratie und er schadet am Ende sich selbst.
    Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass in einer kommenden Nach-Bush-Ära auch Scharon verschwinden, sein Handeln verurteilt und der Friedensprozess wieder erneut eingeleitet werden wird. Leider hat bis dahin dieser kalte Krieger noch etliche Menschenleben mehr auf seinem Gewissen.

  11. 1. Sharon ist ohne jeden Zweifel in einem demokratisch Verfahren legitimiert. Die Mehrheit der Israelis scheint ihm nach wie vor mehr zu vertrauen als jedem anderen Politiker. Auch wenn dies die Ha’aretz-Redaktion zur Verzweiflung bringt. Willst du den Israelis vorschreiben, wen sie zu wählen haben?
    2. Die Israelis versuchen, Terroristen lebend zu fangen. Nur dürfte der Versuch, die Rantisis lebend zu kriegen, ein größeres Blutbad anrichten als eine einzelne “targeted assassination” – dazu müssten sie sich ja den Weg nach Gaza rein und wieder raus freischießen – und bomben. Demgegenüber
    dürfte der hoch problematisierte Sturm auf Jenin eine Lappalie gewesen sein.
    Also, zynisch, oder nicht: Zur Perfidie des Terrorkriegs gehört, dass solche “surgical strikes” trotz aller “Kollateralschäden” weniger Opfer fordern als Interventionen, um Jassin oder Rantisi vor ein Gericht zu stellen.

  12. zu 1: auch ein demokratisch gewählter Mensch kann zum Mörder werden (siehe Hitler);
    zu 2: darum geht’s doch: In der Roadmap hat der zukünftige Palästinenserstaat dafür zu sorgen, dass Terroristen eingesperrt werden. Also ist’s höchste Zeit, diesen Staat zu gründen. Was würdest du sagen, wenn beispielsweise Bush definiert, wer für ihn ein Terrorist sei und geziehlt hier in Deutschland mit Raketen Autos beschösse, in denen angeblich solche Menschen sich befänden. Wenn Bush Häuser von mutmaßlichen Terroristen zerschösse und sippenhaftmäßig ganze Familien damit bestrafen würde?

  13. Die palästinensischen Behörden haben nicht erst seit der Roadmap dafür zu sorgen, dass der Terrorismus eingedämmt wird. Haben’s aber nie getan. Tun’s auch jetzt nicht. Sie haben aber die Gewehre, die sie nach Oslo für diese Aufgabe bekommen haben, gegen die Israelis gerichtet. Und darauf hin haben die Israelis sie ihnen wieder abgenommen.

    Du hingegen scheinst zu glauben, dass Arafat der gute Mensch von Ramallah ist. Er hat aber immer wieder, wie es schön heißt, jede Chance wahrgenommen, eine Chance zu verpassen. Genauer gesagt, den Terror nicht nur nicht eingedämmt, sondern eher angefacht. Wie kann’s denn sonst sein, dass die Al-Aksa-Märtyrerbrigaden ungehindert operieren können- das ist schließlich ein Fatah-Zweig.

    Erst wenn Arafat weg ist, haben pragmatische Kräfte in der PA – wie der abservierte Mohammed Dahlan – eine neue Chance.

    Im übrigen werden nicht Häuser von mutmaßlichen, sondern von tatsächlichen Terroristen zerschossen (sie haben sich in der Regel per Video mit ihrer Tat gebrüstet) und zweitens besteht die “Sippenhaft”-Strafe darin, der betreffenden Familie den Vorteil der Geld-Zuwendungen zu nehmen, die die Familien der Selbstmordattentäter bekommen (von der PA, von der Hisbollah, vom Iran, früher von Saddam,…). Insofern ist “Sippenhaft” Quatsch.

  14. Im Gegensatz zu Scharon ist Arafat Friedensnobelpreisträger, was er aber deiner Meinung nach wohl auch zu unrecht ist.
    Wenn mein erwachsener Bruder eine Straftat begeht oder Terrorist wird und dann das Haus meiner Mutter, in dem er auch wohnt, von der Bundesregierung zerstört wird, dabei womöglich meine Nichte ums Leben kommt, dann nenne ich das Staatsterror und ich würde mein Leben lang für die Bestrafung dieser Täter und Schuldigen sorgen.

  15. Tatsächlich ist es der pure Hohn, dass Arafat den Friedensnobelpreis bekommen hat. Begin war auch ein Terrorist in frühen Jahren und deswegen halte ich die Verleihung des Preises an ihn für fragwürdig – aber wenigstens er hat dem abgeschworen und später eine halbwegs vernünftige Politik gemacht. Arafat setzt dagegen immer noch auf Terror.
    Außerdem: Du gehst auf den Punkt mit den finanziellen Zuwendungen für die Familien der Selbstmordattentäte nicht ein. Insofern geht deine Entgegnung ins Leere.

  16. Stell’s dir am besagten Beispiel vor: Mein Bruder war Selbstmordattentäter. Daran konnte ich nichts ändern und meine kleine Nichte erst recht nicht. Nun bekommt meine Mutter, die mit unserer ganzen Familie sowieso im Elend der Flüchtlingslager lebt, von der Hamas Geld. Dafür ist sie doch nicht zu bestrafen, indem ihr Haus zerstört und kollateralschadensmäßig meine Nichte getötet wird. Sondern dafür wäre einzig die Hamas zu bestrafen!
    Dort steckt der Denkfehler! Die israelische Regierung schürt den Hass, statt ihn mit wirtschaftlichen Hilfsprogrammen zu lindern und somit effektiv der Bereitschaft für Selbstmordattentate entgegen zu wirken. Eigentlich sollte Israel genau das machen, was die Hamas so erfolgreich gemacht hatte. Sozialarbeit, Unterstützung, Arbeitsprogramme etc. – denn immerhin ist Israel für die einkasernierte arabische Bevölkerung in seinen Besatzungszonen verantwortlich.
    Also nicht Mutter bestrafen, da sie Geld für die Familie annimmt. Im Vorfeld Perspektiven für diese Menschen bieten, dann gibt’s auch keine solchen Attentate.

  17. Nein. Das ist naive Sozialromantik.

    Der “neue” Terrorismus zeichnet sich eben dadurch aus, dass er nichts mit der Verbesserung elender Verhältnisse zu tun hat. Selbst wenn die israelische Regierung jede Menge Geld in die besetzten Gebiete pumpen würde, würde sich am Fanatismus der Hamas etc nichts ändern. Möglicherweise hätte sie ein paar potenzielle Suzidattentäter weniger, ein paar leicht Verführbare weniger. Aber damit wäre der Terror nicht weg von der Bildfläche. Und damit bliebe der Zwang, gegen diese vorzugehen. Und das geht nicht mit “weichen” Mitteln. D.h., es wird wieder zu Übergriffen kommen. Und wieder zu neuem Hass. Und wieder … und wieder ist der Circulus vitiosus eröffnet. Und dann wirst du der israelischen Bevölkerung nicht verklickern können, dass mit ihren Steuergeldern die Terror-Infrastruktur finanziert wird – genauso war es nämlich schon einmal nach Oslo.

  18. Staatliche und terroristische Gewalt könne man nicht auf eine Stufe stellen – sagt Erhard Eppler heute in der FR. Wo Krieg zur Verbrecherjagd und Verbrecherjagd zum Krieg wird, habe das geltende Völkerrecht ausgespielt.

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