Isabel Allende zum 11. September

Dann sah ich, wie die Flugzeuge in die Türme flogen, wie die Häuser kurz darauf in sich zusammenfielen. Ich konnte die Koinzidenz kaum begreifen. Die Bilder ähnelten denen aus Chile so sehr, der Schock, die Überraschung waren ähnlich. Die amerikanische Arroganz hatte einen Schlag abbekommen. Sie fühlten sich auf einmal verletzlich. Als Einwanderin konnte ich zum ersten Mal mit ihnen trauern.

Und die Folgen des 11. September, der überbordende Patriotismus, der Krieg gegen Irak und die Art und Weise, wie er gerechtfertigt wurde, hat nichts an Ihrem neuen Zugehörigkeitsgefühl geändert?

Wissen Sie, die Menschen außerhalb der USA nehmen die große Bewegung gegen den Krieg in diesem Land nicht wahr. Millionen Amerikaner waren und sind gegen die Politik der Regierung Bush. … Natürlich haben wir im Moment diese Regierung und die Fundamentalisten in diesem Land, die Bush unterstützen. Aber zeitgleich gibt es eine große Zahl von Amerikanern, zu denen ich mich zähle, die dagegen sind. Die USA sind die einzig verbliebene Großmacht, deren fatale Politik man nur von innen heraus stoppen kann.

Das ist aber schwierig, wenn der Patriotismus selbst die Opposition erfasst und sich Leute wie Hillary Clinton hinter Bush stellen.

Hillary Clinton ist wie Condoleeza Rice, da gibt es gar keinen Unterschied. Etwas Ähnliches ist damals auch in Chile passiert. Nach dem Putsch hatten sich die Christdemokraten, die Kirche, alle auf die Seite Pinochets gestellt. Das war eine Frage der patriotischen Grundhaltung – schließlich empfanden sie es als Triumph, das Land vom bösen Marxismus befreit zu haben. Heute werden Sie in Chile nur noch wenige finden, die offen zugeben, dass sie Pinochet unterstützt haben. Die gegenwärtigen Umfragen in den USA zeigen ebenfalls, dass die Unterstützung für Bush abnimmt. Ich bin jetzt 61 und habe lange genug gelebt, um zu lernen, dass man Geduld haben muss. Die Rechten werden nirgends ewig an der Macht bleiben.

Das ganze Interview: “Ich stand auf der schwarzen Liste”
Erinnerungen: Ein Überlebender des Estadio Nacional
Chronologie: Der Militärputsch
Das Chile-Dossier bei Arte

3 Kommentare

  1. Ich geb’s zu, mich stört, wenn bisher Einzigartiges (genauso wie alltägliches Leid) mit anderem Leid verglichen wird, gegenüber gestellt wird oder (dadurch) versucht wird zu relativieren.
    Der 11. September ist bisher ein einmaliger Schock, ist eben einzigartig, wie der Holocaust ebenso – warum können wir diese Tage des Gedenkens nicht ehrlich begehen, indem wir sie benutzen für eigene Ziele oder sie für eigene Intentionen missbrauchen?
    Ich bin ebenfalls gegen jede Art von Krieg. Die Welt und die Amerikaner sind doch nicht dumm und blind vor Patriotismus. Aber der Zusammenhalt (meinetwegen Patriotismus) der US-Bevölkerung schmiedet sich angesichts des 11. Septembers doch eisenhart – und das ist verständlich, logisch und auch gut so! Wie würden wir über eine Nation denken, die das Gegenteil davon täte!
    Auch Dresdens Bombadierung hat uns Deutsche zusammenrücken lassen, sogar in einem Unrechtssystem. Bis heute klagen wir dieses Unrecht ein – aber viel zu verzagt. Die Zerstörung Hiroshimas bedürfte eigentlich eines weltweiten Gedenktages, ich meine, mehr als es jetzt bereits besteht. Es gibt Täter, die werden zu Opfern und Opfer, die werden zu Tätern. Leid und Elend bleibt hingegen, was es ist. Lass es uns doch, wo auch immer auf dieser Welt, anklagen, betrauern und lass uns daraus lernen! Lernen werden wir hingegen nie, wenn wir das Leid des Einen dem Leid des Anderen gegenüberstellen und somit (auch indirekt!) über Leid werten.

    PS: Die Äußerungen Bushs, der diesen Gedenktag zum Mittel seines eigenen Diktaturausbaues missbraucht, sind in meinen Augen genauso pervers, wie jeder andere Versuch den 11. September für eigene Zwecke zu benutzen. Das Instrument für Ideale darf m.E. nicht in der Relation des Negativen liegen, sondern kann nur im positiven Beispiel Früchte tragen.

  2. Allende vergleicht, wie ich sie verstehe, nicht das Leid der Opfer miteinander, sondern die Reaktionen der Gesellschaften, in denen solches geschieht – und das finde ich hochspannend.
    Ansonsten stimme ich dir teilweise zu, Georg – ein Vergleich von Leid geschieht oft in der Absicht, Verbrechen zu relativieren. Der 11. September aber “gehört” den 3000 Toten von New York und Washington ebenso wie den mehreren tausend Opfern des Militärputsches in Chile. “Entwertet” es denn das Gedenken, wenn es an einem solchen Tag auch anderen gilt? Ist nicht gerade die Tatsache, dass der Focus weltweit auf die Toten im WTC gelegt wird, die eigentliche Wertung?

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