Ich bin noch da

Oh. Du hier? Seltsam, dabei ist hier doch kaum noch etwas los. Es kommt sicher nicht mehr häufig vor, dass sich jemand hierher verläuft. Ich selbst bin auch viel zu selten hier. Die Zeiten, da dieses Blog seinem Namen gerecht wurde, sind lange vorbei. Woran liegt’s? Ach, es gibt einige Gründe.

Dabei gäbe es doch Themen genug, über die sich bloggen ließe. Der Rassismus zum Beispiel, der sich in diesem Land wieder offen Bahn bricht in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich könnte mich wortgewaltig aufregen über die Schreihälse, die nichts anderes wollen als endlich wieder sagen dürfen, dass Ausländer irgendwie Scheiße sind. Die gar nicht daran interessiert sind, dass Integration funktioniert, denn das würde sie ihres liebsten Vorurteils berauben. Selbst das dumpf-marschierende NPD-Fußvolk wird sich derzeit verwundert die Augen reiben und sich fragen: Womit sollen wir denn jetzt noch provozieren? Und wen?
Es gebe viel zu sagen darüber, aber ein anderer hat das viel besser aufgeschrieben.

Ich könnte schreiben über die “It-gets-better”-Aktion, bei denen US-amerikanische Promis und Nicht-Promis sich vor die Videokamera setzen und in sehr bewegender Weise lesbische und schwule Jugendliche im Land dazu aufrufen, sich nicht umzubringen. Ich könnte erzählen, wie es hierzulande für mich selbst in den vergangenen 25 Jahren schrittweise immer ein wenig besser wurde, bis mich ein Blick auf meine Steuererklärung belehrt, dass es noch lange nicht in Ordnung ist. Zu persönlich.

Ich könnte über die Arbeit berichten und darüber, wie sehr sie sich verändert hat. Über Schichtdienste und was sie für das Privatleben bedeuten. Ich könnte erzählen, wie es sich anfühlt, im Supermarkt eine Flasche Sekt zu kaufen, um damit auf die Gründung einer GbR anstoßen zu können.

Ich könnte über Familie sinnieren und darüber, wie man sie abwechselnd – nein, eigentlich gleichzeitig – lieben und hassen kann. Und dass man, wenn man Teile davon verloren hat, nicht aufhören kann, sie zu vermissen, ganz egal, ob die Familie an anderer Stelle wächst. Ich könnte auch darüber spekulieren, warum das nicht mehr fahrtüchtige Auto noch immer angemeldet und versichert vor der Tür steht und ich mich seit Monaten nicht dazu durchringen kann, es abschleppen zu lassen.

Ich könnte wie ein Rohrspatz schimpfen über die Geschichtsverfälschung in “Goethe!”, der gerade im Kino läuft, und in dem gefühlte 70 Prozent der Handlung frei erfunden ist. Goethe als Betrogener? Umgekehrt war’s! Ein Duell mit dem Rivalen? Hat’s nie gegeben. Kerkerhaft? Ebensowenig. Und ein Goethe, der auf dem Dach einer Kutsche auf dem Frankfurter Liebfrauenberg sitzt und Autogramme gibt – ich bitte Sie!

Oder ich teile einfach mit, wie oft ich darüber nachgedacht habe, den Namen dieses Blogs zu ändern, die Domain aufzugeben und unter einer anderen neu anzufangen. Und es dann doch nicht getan habe.

Andere Blogs lese ich nachts in der Straßenbahn, immer gerade so viel, wie in 15 Minuten passen. Ich bewundere heimlich alle, die noch immer täglich schreiben, und empfinde stilles Verständnis für jene, die eine Pause einlegen. Still und heimlich, das ist die Art, in der ich mich in dieser Zeit durchs Netz bewege. Mein eigener Twitter-Account schweigt, an meine Facebook-Pinnwand hänge ich nur noch selten ein eigenes Zettelchen. Werde ich bequem? Gleichgültig? Unsicher? Alt? Werde ich … offlline?

Sicher nicht. Alles hat seine Zeit. Dieses Blog war mir immer wichtig, und das wird es bleiben. Es beherbergt mich seit sieben Jahren. Es ist wie eine Stammkneipe, die immer für mich offen steht. Wenn ich mich in dem Funzellicht hier umschaue, hoffe ich stets, am anderen Ende des Tresens noch alte Bekannte zu entdecken. Und ja, The Daily Mo wird seinen Namen behalten, auch wenn ich weit davon entfernt bin, täglich zu bloggen. Auch wenn es nicht so aussieht: Ich bin noch hier. Ich und der Google-Robot, wir halten die Stellung.

4 Kommentare

  1. Ich bin seit einigen Wochen wieder öfter hier, erfreue mich an Deinen Fotos, Deinen Gedanken und denke darüber nach. Schön, dass es “the daily Mo” auch nach 7 Jahren
    noch gibt und schön, dass Du Deine “Stammkneipe” mit mir/uns teilst.

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