Vor etwas mehr als 30 Jahren wünschte ich mir kaum etwas sehnlicher, als in München zu arbeiten. Im vergangenen Monat wurde dieser (längst verflogene) Traum mit großer Verspätung doch noch Wirklichkeit.
Es ist ein Job auf Zeit. Und ein beruflicher Ausflug auf unbekanntes Terrain. Ich schaue ich mir die Zentralredaktion von Munich Online an, die unter anderem merkur.de betreibt und daneben auch andere regionalen Portale der Ippen Verlagsgruppe mit überregionalen Inhalten beliefert.
Die Ippen-Verlagsgruppe hat bundesweit Zeitungen, in Hessen gehören unter anderem die Hessische/Niedersächsische Allgemeine, die Offenbach Post und die Hersfelder Zeitung zum Unternehmen – und seit gut einem Jahr ist neben der Frankfurter Neuen Presse auch meine berufliche Heimat, die Frankfurter Rundschau, Teil des Verlagshauses.
Ein zentraler Standort der Verlagsgruppe ist München mit dem Münchener Merkur und der tz. Diesen Umständen ist zu verdanken, dass ich für einige Wochen in die berufliche Fremde gegangen bin und meinen Schreibtisch in Frankfurt gegen einen Platz in einem Großraumbüro in Münchens Zentrum getauscht habe.
Ich bin hier, um was zu lernen, mir Werkzeuge und Workflows anzuschauen. Und natürlich die Menschen kennenzulernen, die durch den FR-Eigentümerwechsel meine neuen Kolleginnen und Kollegen geworden sind.
Perspektivwechsel lautet also das Motto, oder, wie eine Freundin es formulierte: Mal raus aus der Komfortzone. Ich schreibe in München über Themen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einmal journalistisch beackern würde … ;) Und siehe da: Ich hab Spaß! Was vermutlich auch daran liegt, dass es nur ein kurzer Ausflug in andere Gefilde ist …
Die Firmenwohnung, die ich nutzen darf, liegt in Thalkirchen, Stadtbezirk Sendling, quasi direkt am Fluss und in unmittelbarer Nähe der Flaucher-Auen – eines der schönsten Naherholungsgebiete der Stadt, wie einer meiner Münchner Kollegen schwört. Ich glaube ihm das sofort. Anfangs war ich hier laufen, dann passierte mir in meiner zweiten Münchener Woche ein Malheur mit dem Kniegelenk. Zum Spaziergehen am und über dem Wasser – der Flauchersteg verbindet hier die Ufer über mehrere Kiesbank-Inseln hinweg – reicht es aber noch. Und dann lockt ja auch der nahe Flaucher-Biergarten …
München kulinarisch
Die “Kitchenette” in meiner Wohnung erlaubt mir zwar, mich selbst zu versorgen; Spaß macht das Kochen in dieser Mini-Küche allerdings nicht, und so gehe ich in die Kantine und ab und zu auch auswärts essen. Zum Frühstücken habe ich “Das Maria” im nicht weit entfernten Glockenbachviertel entdeckt, mit orientalisch inspirierten Gerichten wie “Maria in Marrakesch” oder “Maria im Souk”. In Laufweite meiner Unterkunft findet sich das Bio-Restaurant “resihuber” am Resi-Huber-Platz, neben einem der vielen Müncher Vollcorner-Bioläden. Resi Huber war eine Antifaschistin, die ihre Arbeit im Kräutergarten des KZ Dachau nutzte, um Lebensmittel für die eingepferchten Menschen hineinzuschmuggeln.
Die Künstlerin Frida Kahlo ist Namenspatin der Kneipe in der Maxvorstadt, in die es mich mehrmals abends gezogen hat. Das “Frida” kannte ich schon von meinem letzten Aufenthalt in München, als ich nach einem Besuch im Lenbachhaus dort gelandet war und diese Entdeckung nicht bereut hatte: Leckeres Essen, angenehme Atmosphäre.
Apropos Lenbachhaus: Auch diesmal konnte ich das architektonisch so beeindruckende “Haus im Haus” mit den Bildern des “Blauen Reiter”, mit Werken von Joseph Beuys, mit Gemälden aus dem 19. Jahrhundert und natürlich dem wunderschönen Garten mitten in der Stadt nicht auslassen. Die aktuelle Sonderausstellung “I’m a believer” dreht sich um Popart und Gegenwartskunst.
München historisch
Nicht weit vom Lenbachhaus entfernt, an der Brienner Straße in unmittelbarer Nähe des Königsplatzes, findet sich das NS-Dokumentationszentrum. Als ich es nach einem meiner Arbeitstage gegen 17 Uhr betrat und erfuhr, dass es bis 19 Uhr geöffnet hat, war ich guter Dinge, mir alles in Ruhe anschauen zu können. Eine Fehleinschätzung! Bereits der erste Teil im obersten Stock der Dauerausstellung über München und den Nationalsozialismus, die sich über insgesamt dreieinhalb Etagen erstreckt, hat mich eine gute Stunde lang beschäftigt. Es geht in diesem ersten Kapitel um die politische Entwicklung in München nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, die Turbulenzen zur Zeit der Räterepublik – und um die Frage, wie München zur Keimzelle der Nationalsozialismus werden konnte.
Hitler hatte sich für seinen Putschversuch von 1923 die Stadt ausgesucht, in der er auf das Wohlwollen der Amtsträger bauen konnte. München wurde einem Erzreaktionär regiert, der die Stadt gezielt als Gegenpol zum “Sündenpfuhl” Berlin positionierte: Sodom und Gomorrha in der Hauptstadt, Recht und Ordnung in Bayern, so das Narrativ.
So fand der Hochverratsprozess gegen Hitler in einem Umfeld statt , das dem Angeklagten wohl gesonnen war. Der Prozess war eine Farce, der Richter, ein Hitler-Sympathisant, beugte das Recht, für sein mildes Urteil wurde er später vom “Führer” reich belohnt. Die wenigen Monate “Festungshaft”, die Hitler absitzen musste, waren in Wahrheit ein Gefängnisaufenthalt unter recht komfortablen Umständen – ausgestellt ist unter anderem eine lange Namensliste von Hitlers Besuchern.
In der Stadt, die ihn so geschont hatte, gründete Hitler nach seiner Entlassung im Bürgerbräukeller die verbotene NDSAP neu und konnte, getragen von einem antisemitischen, rechtsnationalen Bürgertum, seinen Siegeszug antreten. München war nicht nur die Keimzelle seiner Diktatur, die Stadt und vor allem die Gegend rund um den Königsplatz wurden zur Machtzentrale seiner Partei. Das NS-Dokumentationszentrum beleuchtet all das an einem historischen Ort: Das neue Gebäude steht an der Stelle des “Braunen Hauses”, der NSDAP-Parteizentrale.
München von oben
Um einen Blick von oben auf die Stadt zu werfen, hatte ich mir eigentlich den Turm des Alten Peter ausgesucht, die älteste Pfarrkirche Münchens, direkt am Viktualienmarkt gelegen. Mein lädiertes Knie sprach jedoch sehr dafür, stattdessen den Aufzug auf den Turm des Neuen Rathauses zu nehmen. Die Aussicht ist auch von dort beeindruckend: Ich sehe das Gewusel der Menschen auf dem Marienplatz, der sich gerade zum 17-Uhr-Glockenspiel füllt, die Kirche St. Peter und das Alte Rathaus.
Im Westen erheben sich die beiden charakteristischen Türme der Frauenkirche, im Norden leuchtet die ockerfarbene Theatertinerkirche neben der Feldherrnhalle am Odeonsplatz in der Abendsonne. Der Königbau der Residenz protzt mit seiner langgezogenen Fassade, so dass das Nationaltheater daneben fast bescheiden wirkt. Über die Dächer hinweg ist das dunkelgrüne Band des Englischen Gartens zu sehen, mittendrin reckt sich auf einem Hügel der von hier aus winzige Monopterus-Tempel übers Grün. Ganz in der Ferne glänzt das spektakuläre Zeltdach des Olympiastadions.
Da unten stand ich vor mehr als 30 Jahren mit klopfenden Herzen vor einem unscheinbaren Gebäude am Altheimer Eck. Ich träumte davon, nach dem Abi eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule zu machen. Die erste Hürde war genommen, meine Bewerbungsreportage gut genug ausgefallen, um eine der begehrten Einladungen zur zweiten Runde nach München zu bekommen. Zwei Tage lang wurden die Kandidatinnen und Kandidaten hier durch die Mangel gedreht: Wir mussten unter anderem den Grad unserer politischen Bildung in diversen Tests nachweisen, eine Vor-Ort-Reportage produzieren und uns in Vorstellungsgesprächen mehreren Interviewern stellen. In der zweiten Runde flog ich raus, ging stattdessen zum Studieren nach Marburg und Frankfurt – und stieg ganz klassisch in den Beruf ein, mit freier Mitarbeit, Praktika und Volontariat. München hakte ich damals ab. Alles war gut so, wie es gekommen war.
Es ist viel Wasser den Main hinabgeflossen seit damals. Und die Isar natürlich auch.
Nach gut vier Wochen packe ich meine Sachen und kehre zurück nach Frankfurt. Der Ausflug war spannend, ich habe viel gelernt und komme mit einem gut gefüllten Werkzeugkasten zurück. Als ich in Frankfurt aus dem Zug steige, hüpft mein Herz. Wie oft habe ich in den vergangenen Jahren darüber nachgedacht, die Stadt zu verlassen und wieder aufs Land zu ziehen. Jetzt freu ich mich wie Bolle, wieder hier zu sein, in diesem kleinen Dorf am Main.