Der Mord an “Charlie Hebdo” – und was er mit uns macht

Im Frankfurter Caricatur Museum gibt es in diesen Tagen den "Je suis Charlie"-Button zur Eintrittskarte dazu.

Im Frankfurter Caricatura Museum gibt es am Freitag den “Je suis Charlie”-Button zur Eintrittskarte dazu.

Fassungslosigkeit, Entsetzen und Trauer gehören in diesen Tagen, nach den Morden an zwölf Menschen bei und vor dem Satireblatt Charlie Hebdo in Paris, wohl zu den vorherrschenden Gefühlen in allen Redaktionen auf diesem Globus. Auch bei uns ist das so. Es ist anders als sonst, wenn ein Terroranschlag oder ein großes Unglück Redaktionen in eine Art professionellen Ausnahmezustand versetzt, der dazu zwingt, alle Planungen über den Haufen zu werfen und alle Kraft allein auf ein Ereignis zu konzentrieren. Es geht näher. Klar: Es sind quasi Kolleginnen und Kollegen, die in Paris für die Meinungsfreiheit starben. Empfinden wir deshalb mehr Mitgefühl? Vielleicht. Aber da ist noch etwas anderes: Das Gefühl der Bedrohung nimmt zu – auch, weil es längst Alltag geworden ist, Redaktionen aus dem Schutz der Anonymität aufs Übelste zu beschimpfen und namentlich genannten Menschen öffentlich den Tod zu wünschen. Man muss heute nicht mal über besonders heikle Themen schreiben, um zur Zielscheibe eines völlig entfesselten Mobs zu werden.

Zwar ist keiner mehr bei uns, der noch persönlich erlebte, wie Pförtner Becker Ende der 60er Jahre die Tür zum Rundschau-Haus vor einer wütenden Studentenschaft verriegelte, die, enttäuscht von der FR, mit der Redaktion “ein ernstes Wort reden” wollte. Auf den Straßen wurden damals Transparente getragen, auf denen zu lesen war: “Mit dem Spiegel fing es an. Wann kommt die Rundschau dran?” Ich selbst erinnere mich an die gewölbten Briefumschläge, die kurz nach dem 11. September 2001 für Unruhe bei uns sorgten, weil man Anthrax darin befürchtete. Auch an eine Räumung nach einer Bombendrohung kann ich mich erinnern. Heute sind das Anekdoten. Nie ist wirklich was passiert. Man frotzelt über solche Vorkommnisse, tut, als gehöre so etwas nun einmal dazu, und überhaupt, Journalisten gefallen sich ja auch irgendwie in einer “Viel Feind, viel Ehr'”-Pose. Aber als neulich eine Kollegin Morddrohungen erhielt, da ist uns das Frotzeln vergangen. Zwei weitere Kollegen, die unter anderem über Rechtsextremismus und Salafismus schreiben, wurden in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls persönlich bedroht.

Auch, wenn es Unterstützung durch die Chefredaktion, aufmunternde Worte aus dem Kollegenkreis und Rechtshilfe vom Hausjustiziar gibt: Am Ende müssen Betroffenen mit dem mulmigen Gefühl, der schleichenden Angst alleine fertig werden. Was macht das mit ihnen? Was machen die unsäglichen Morde in der Pariser Redaktion von Charlie Hebdo mit dem kritischen Journalismus, was mit der Satire?

Man muss die Karikaturen von Charlie Hebdo nicht mögen, um ihre Existenzberechtigung zu verteidigen. Aber kann man es irgendwem verdenken, der darüber nachdenkt, von bestimmten Themen die Finger zu lassen? Trotzdem: Weitermachen, das scheint nach wie vor die einzige Antwort. Auch wenn’s schwer fällt. Auch oder gerade dann, wenn die Schere im Kopf spürbar wird. Wer kritisch über Extremismus und Misstände berichtet, sich nicht einschüchtern lässt, wer seinen Kopf, sein Gesicht hinhält, braucht öffentlich Rückendeckung – von Kolleginnen und Kollegen, von Chefredaktionen, von Herausgebern, von Politikern, eigentlich von allen. Das stärkste Bild, das ich nach dem Anschlag sah, war das aus dem Newsroom von Agence France Press. Es erinnerte mich an die “O Captain! My Captain!”-Szene im “Club der toten Dichter”.