Alte Liebe V

Worum es geht.
Was zuvor geschah.

Luise hat die Koketterie Levins schnell durchschaut. Sie dreht den Spieß um, schreibt am 17. Oktober 1842 über ein Porträt, das sie ihrem Verehrer zu schicken gedachte – und teilt ihm mit, dass sie es sich dann doch anders überlegt habe. Aber sie denkt auch über ein erstes Treffen nach …

Ein Lebenszeichen (!)*

Eben bekomme ich Ihren Brief, und gleich setze ich mich hin, um Ihnen zu danken! Was soll das heißen, dass Sie sagen, Sie hätten mir eigentlich jetzt nicht schreiben sollen, weil ich durch meine Cousine zu sehr in Anspruch genommen sei! Das ist Koketterie von Ihnen, lieber Freund, denn Sie müssen wissen, wie mich Ihre Worte freuen, Sie müssen fühlen, dass unsere Korrespondenz einen großen Reiz für mich hat – sonst ist alles nichts!

Sie haben mir nicht gut erklärt, was wir sind, mir ist es aber jetzt eingefallen; es ist zwar “eine alte Geschichte, doch bleibt sie ewig neu” – wir sind Tanne und Palmbaum! Wir träumen von einander! Sie sind der Fichtenbaum, den es schläfert, ich aber bin die Palme, die einsam und schweigend trauert!

Ich erinnere mich, dass, als ich zuerst das Gedicht las, es ist schon viele Jahre, ich Tränen in meinen Augen fühlte, und ich war doch damals ein glückliches Kind, ohne Schmerzen, von Liebe umgeben! Jetzt, seitdem meine Mutter tot ist, sind mir viele Menschen gut; aber niemand liebt mich; ich bin niemand zu seinem Glück notwendig und das ist doch nur Liebe. Aber es ist eine gerechte Strafe vielleicht, denn früher schlug ich die Welt und alles, was sie bietet, zu gering an. Ich sagte damals, was soll ich mich um andre Menschen kümmern, so wie meine Mutter liebt mich doch niemand, kann mich niemand lieben! Wie freut es mich, dass ich Ihnen von dieser Heiligen reden kann, dass Sie mit mir fühlen und empfinden, was eine liebende Mutter ist!

Selbst als Kind habe ich wenig mich mit anderen herumgetrieben. Bis zu meinem neunzehnten Jahre war meine Mutter meine ausschließliche Gesellschaft, meine Lehrerin, meine Freundin. Da wurde ich erst in die Welt eingeführt; ich passte aber eigentlich schon nicht mehr hinein, denn ich war ein selbständiges Wesen, sagte, was ich dachte und glaubte, jedermann sei so. Ich bin auch so geblieben, denn meine Mutter tadelte mich nicht und nur ihr Tadel hatte “Wert für mich.

Kürzlich sagte eine Dame, die mich kennen lernte: “Im Anfange kam mir Luise Gall ganz sonderbar und eigen vor, und nun kann ich nicht begreifen, dass nicht alle Menschen so sind, denn sie ist ganz natürlich.” Werden Sie mir es als Eitelkeit auslegen, dass ich Ihnen dies schreibe? Ich hoffe nicht; denn natürlich zu sein, ist ja kein Verdienst und höchstens das meiner Mutter, dass sie mich so lange dem geschminkten Treiben der Welt fern hielt und nur ihr edles reines Frauengemüt mich erkennen ließ. Meine Mutter war unendlich viel mehr, als ich bin, aber es erfüllt mich mit Stolz zu sagen, dass ich mich Ihrer nicht unwürdig fühle. Auch sie war Dichterin wie die Ihrige, doch nur für ihre Lieben. Ihr ganzes Leben war eine Kette von Unglück. Drei jüngere Brüder verlor sie auf grässliche Art; der eine ertrank, der andere kam auf der Jagd um; und meinen Vater verlor sie einige Wochen vor meiner Geburt durch einen Sturz mit dem Pferde! Ich war nun ihr Alles, ihr Einziges, Erstes und Letztes!

Ich bin durch Liebe verwöhnt, recht sehr verwöhnt worden, und mich friert, wenn ich meine Blicke um mich werfe. Ich möchte immer und ewig nur in meinem Innern die heilige Erinnerung an die Liebe, die ich besaß, pflegen und hegen. Ein Glück hat mir der Himmel verliehen, eine große angeborne Heiterkeit. Als meine Mutter noch lebte, wachte ich den Morgen immer mit einem Gefühle der Glückseligkeit auf, dass mir war, als müsse ich laut jubeln, wie eine Lerche. Und wenn ich sang und meine helle Stimme recht ausströmen ließ, dann war mir wohl im Gefühle unendlicher Lust! Das ist nun vorüber – wenn ich allein bin, bin ich jetzt immer traurig, so wie ich noch vor anderthalb Jahren dann immer fröhlich war. Aber es bedarf nur eines Menschen, eines Vogels, einer Blume, einer Gegend, um Freude und Teilnahme in mir zu wecken. Der beste Wecker aber ist ein Brief.

Verzeihen Sie, oder vielmehr entschuldigen Sie, dass ich so viel von mir erzählt, aber Sie wissen ja gar nichts, als Freiligraths schlechte Spaße, und nach denen sollen Sie sich kein Bild von mir machen. Ich habe ihn schon beschuldigt, daß er Ihnen die Phantasie in Betreff meiner verdorben.

Sie fragen mich, welcher Glückliche mein Bild erhält. Gar keiner. Freiligrath und seine Frau fanden es wundervoll, ähnlich, herrlich! Hier meine Verwandten finden aber, daß es älter und hässlicher sei als ich, mich schockiert ein dedaigneuser Zug um den Mund, den ich nicht habe, den aber Ida F[reiligrath] auch nicht finden will. Erst wollte ich das Bild lithographieren lassen und auch Ihnen einen Abdruck schicken, aber nun mag ich nicht, obgleich ich Ihnen vielleicht grade dies Bild senden sollte, damit nachher die Wirklichkeit Sie nicht unangenehm überrasche. Sie sehen, dass mir viel an Ihrer Gnade liegt.

Aber im Ernste, Ihre Freundschaft ist meinem gänzlich verwaisten Leben eine Freude, ein Gewinn, wofür ich Ihnen mit ganzer Seele danke. Dabei der poetische, romantische Reiz des Ungewöhnlichen. Wissen Sie, mein Freund, dass Sie prächtige Briefe schreiben? So kann ich’s nicht, ich kann nur schreiben, wie ich spreche, und meine Briefe haben nur für den Wert, an den sie gerichtet sind, weil sie den Stempel der Wahrheit tragen; die Ihrigen aber sind Gedichte! Gedichte – ja das ist schön, dass Sie mir Gedichte schicken wollen. Aber eines muss dabei sein, von dem Sie mir sagen, dass Sie bei dem Niederschreiben an mich gedacht haben. Es braucht nicht an mich gerichtet zu sein, so tyrannisch bin ich nicht – aber ich möchte wissen, in welche Farben mein Bild sich in Ihrem Dichterherzen kleidet.

Ich habe schon öfter Gedichte bekommen voll schöner Worte, aber die haben mich nicht gefreut, es waren lauter kleine geputzte Puppen, die in schwerfälligen Schritten vorbei marschierten und bei dem Weggehn sich tief verneigten.

Aber ich möchte ein Gedicht lesen, von dem niemand weiß, dass ich darinnen lebe, und das ein warmes lebendiges Wort zu mir spräche, so wie ich seit Jahresfrist keines zu hören bekommen!

Sie protestieren feierlich gegen den Titel sans peur et sans reproche. Tun Sie das nicht, Sie sollen solch ein Ritter sein. Schlickum hat mir zwar erzählt, dass Sie sich vor Gespenstern fürchten, das glaube ich aber nicht, weil ich nicht will!

Freiligrath ist vis-a-vis von jeder Geistergeschichte ein Hase, aber das darf mein Ritter nicht sein: Der muss einen Geist in sich fühlen, der allen Geistern überlegen ist. Ist nicht der Geist der Liebe ein mächtiger Geist? Wissen Sie auch, warum mein Ritter so mutig und furchtlos sein muss? Weil ich selbst gar keine Courage habe und von ihm geschützt sein will. Aber für mich würden Sie auch einem Gespenst Trotz bieten, denn ein edler Charakter vermag für andere, was er für sich selber nie vermocht.

Ich habe mir ausgedacht, wie unser erstes Zusammentreffen stattfinden muss. So oder gar nicht. Nämlich bei einem großen Fest – ich darf nur wissen, dass Levin, Sie, dass Luise gegenwärtig ist. Dann müssen Sie mich unter allen erkennen und ausfinden: Ich habe Sie dann schon längst erkannt, davon bin ich überzeugt! Aber ob Sie mich finden, das ist die große Frage. Ja, groß; denn es gibt viel große Frauen mit dunklen Haaren und schwarzen Kleidern, obgleich ich schon mehrmals nach Beschreibungen erkannt wurde.

Ich sollte Ihnen doch mein Bild schicken, wenn es auch älter aussieht – in sieben Jahren gleicht es mir dann grade!

Mit meiner Cousine geht es besser, aber ich gehe doch nicht nach Wien; denn erst seitdem ich ihr erklärt, dass ich sie nicht verlassen wolle, hat die Krankheit nachgelassen. Ich sah, dass sie in fortwährender Aufregung war und fürchtete, ich möchte sie heimlich verlassen. Sie weinte vor Freude, und mein Opfer war mir dann vergolten; denn ein großes Opfer war es, Darmstadt und Wien! Vielleicht gehe ich nun nächstes Frühjahr; den Winter bleibe ich auf jeden Fall hier. Sie schelten mich (dass doch die Männer so gerne zanken!), dass ich Ihnen meine Adresse nicht geschickt: Sie wussten meinen Namen und Aufenthaltsort, wozu mehr in einem Neste wie Darmstadt?

Von Hauff** habe ich vorgestern einen höchst komischen Brief erhalten. Hackländer hatte mir nämlich erzählt, dss er, Hauff nämlich, mich für eine alte Dame gehalten, nun aber bei dem Empfange meiner ungarischen Reise gesehen, dass er sich geirrt und zu ihm gekommen, triumphierend, mein Manuskript in der Hand, rufend, “Gott sei dank, sie ist jung.” Aber dennoch mir nicht antwortete, ich schrieb ihm nochmals und am Schlusse meines Briefes machte ich den harmlosen Spaß, ich höre, er habe mich für eine alte Dame gehalten. An meiner Ungeduld könne er aber sehen, dass ich noch jung sei. Nun sollten Sie lesen, wie pedantisch er mir schreibt: “Geschlecht und Alter seiner Mitarbeiter müssten ihm gleichgültig sein.” Hat man je Ähnliches gesehen. Er glaubte wohl, ich wollte ihn bestechen, du lieber Gott, so groß ist meine Jugend nicht mehr.

Raten Sie mir, was soll ich mit dem Manne anfangen? Sie sind mein Bräutigam, ich werde jetzt alle meine Sorgen auf Ihre Schultern wälzen. Denken Sie sich nur nicht, weil ich eben von meinem Schreiben gesprochen, einen Blaustrumpf in meiner Person. Ich lege unendlich wenig Wert darauf; ich schreibe nur, weil ich nichts anderes zu tun habe; denn meine Toilette nimmt mich nicht in Anspruch. Singen kann man nicht den ganzen Tag, und vom Zeichnen tun mir die Augen weh. Ich lese und schreibe, aber wenn heute jemand zu mir sagte: “Tue mir den Gefallen und schreibe kein Wort mehr,” und dieser Jemand wäre wirklich jemand, so würde ich es sans regrets tun. …

Wie wahr ist das, was Sie von den Momenten sagen. Die Freude ist nur wie eine schöne Musik, die verklingt, der Kummer aber wie ein Gemälde bleibend, man schaut es immer wieder von neuem an. Aber seien Sie nicht undankbar; ist denn die Erinnerung eines schönen Augenblickes nicht auch ein Glück! Wozu wären Sie denn so ein Dichter, wenn Sie nicht die Erinnerung zur Gegenwart umscharfen könnten – das ist ja Ihr Metier.

Sie haben mir Ihr Bild versprochen, und nun sind Sie ganz stille davon. Aber ähnlich muss es sein, sehr ähnlich, so ähnlich wie Freiligraths, sonst würde es zur trennenden Barriere zwischen uns; denn ihm würde meine Freundschaft zuströmen, und wenn Sie dann kämen und anders wären, wenn auch viel schöner, so hätte ich nichts mehr für Sie übrig. Denn ich bin ausschließend, mit ganzer Seele oder gar nicht. …

Wie verschieden sind unsere Wünsche! Obgleich die Tageszeit dieselbe ist, so möchten Sie am Kaminfeuer mit mir plaudern, während ich mit Ihnen spazieren gehen möchte. Ihre Wünsche sind aber jedenfalls “zeitgemäßer”, denn der Winter ist vor der Türe und wir müssten jetzt beide bei unserer Promenade erfrieren. Aber ich denke nicht an den Winter, nicht an die Jahreszeiten. Vielleicht treffen wir uns auch erst dort, wo ewiger Frühling ist!

* danach muss ich ein langes Leben haben.

** Hermann Hauff redigierte das Cotta’sche “Morgenblatt”. Es handelt sich um den Artikel: “Acht Wochen in Ungarn”.

Fortsetzung …

Der Briefwechsel von Levin Schücking und Luise von Gall – jetzt auch gebündelt auf einer eigenen Seite!