Schiller dreht sich im Grabe herum

Für zwei Euro Eintritt darf man in Weimar eine steinerne Treppe hinab in ein muffiges Gewölbe steigen. Es dauert einen Moment, bis sich die Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben. Dann sieht man die Särge.
In der Fürstengruft auf dem städtischen Friedhof fanden Mitglieder der herzoglichen Familie ihre letzte Ruhestätte. Die Hauptrolle hier unten spielen aber weder die sterblichen Überreste von Carl August noch Anna Amalia, sondern die Gebeine von Goethe und Schiller. Einträchtig stehen ihre schweren Eichensärge nebeneinander. Und andächtig stehen ihre Bewunderer davor, Tag für Tag, jahrein, jahraus. Und jeder zahlt dafür zwei Euro.
Auch wir standen da – und hätten wir an jenem Tag bereits gewusst, was wir heute wissen – ich hätte mein Geld zurück verlangt.

1805: In einer mondhellen Nacht wird Schiller beigesetzt – oder besser gesagt: fallengelassen. Totengräber verfrachten ihn durch eine Falltür hinab in eine Gemeinschaftsgruft. Der gefeierte Autor der “Räuber”, der Dichter des “Wallenstein” – fortan modert er in dem Kassengewölbe am Jakobsfriedhof in Gesellschaft anderer Leichen vor sich hin.

1819: Die Zeitung “Berliner Gesellschafter” empört sich über den despektierlichem Umgang mit dem Dichter, andere Blätter folgen. Die Weimarer Obrigkeit wird nervös.

1826: Mit dem festen Vorsatz, die Schillerschen Überreste zu bergen, um ihnen eine würdigere Ruhestätte zu geben, öffnet der Bürgermeister von Weimar um Mitternacht die schwere Falltür zum Kassengewölbe und steigt hinab. Drei Tage dauert das Stöbern zwischen Sargresten und Knochen, erträglich gemacht nur durch eifrigsten Tabakonsum, wie die Chronik vermerkt, dann klettern der Bürgermeister und seine beiden Helfer mit einem Sack voller Schädel wieder nach oben. 23 sind es. Und einer davon ist der des Dichters. Ganz sicher!

Mediziner werden herbeigerufen, sie vergleichen den Abguss der Totenmaske mit den Fundstücken und entscheiden: Der größte Kopf ist jener Friedrich Schillers.
Zunächst wird er in der Anna-Amalia-Bibliothek aufbewahrt, Staatsminister Goethe nimmt ihn zwischenzeitlich mit nach Hause und lässt das Kassengewölbe erneut durchsuchen, um auch den Rest des toten Freundes zu finden.

1827: Schädel und Gebeine von Friedrich Schiller werden in der neu errichteten Fürstengruft beigesetzt. Oder doch nicht?

1912: Ein Tübinger Anatom schlägt Alarm: Wer auch immer in dem Sarg in der Fürstengruft ruhe – Schiller sei es nicht! Die Argumente des Professors: Ein Hut des Dichters, der nicht auf den angeblichen Schiller-Schädel passt, und ein Gebiss, das nicht den Ernährungsgewohnheiten Schillers entspricht. Abermals wird das Kassengewölbe durchwühlt, und das, was der Anatom als echten Schiller ans Tageslicht befördert, wird fortan in einem kleineren Sarg ebenfalls in der Fürstengruft verwahrt – man kann ja nie wissen. Endlich hat die liebe Dichterseele Ruh’. Oder doch nicht?

1957: Am Schillersarg macht sich Fäulnis bemerkbar. Er muss geöffnet werden. Eine Kapazität aus der Sowjetunion reist in die DDR, begutachtet die Gebeine und befindet: Er ist’s doch, der echte Schiller! Der Sarg trage seine Aufschrift zu Recht, und der Schädel im kleinen Sarg sei der einer Frau. Der große Bruder muss es wissen. Oder doch nicht?

1962: Wissenschaftler aus Jena und Halle wagen es, den Sowjets zu widersprechen! Dem offiziell zum knöchernen Behältnis des Dichterhirns deklarierten Schädel seien nachträglich falsche Zähne eingesetzt worden, sagen sie, und folgern: Er ist’s doch nicht! Oder doch?

Zwei Särge stehen heute in der Fürstengruft, einträchtig nebeneinander. Goethe steht auf dem einen, Schiller auf dem anderen. Nur wer sich im Halbdunkel genauer umschaut, entdeckt einen dritten, kleinen Sarg. Sicher ist sicher. Oder doch nicht?

2 Kommentare

  1. Ja, und seit Jahren wird sich in Weimar hartnäckig geweigert, einen DNA-Abgleich durchführen zu lassen. Warum wohl? Nachtigal, ick hör dir aber sowas von trapsen ;-)

  2. Na, wer wird sich denn eine sichere Einnahmequelle ohne Not weg-analysieren lassen – und das im Schiller-Jahr!

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