Erinnerungen

Schachspielen, zum Beispiel. Das gehört zu den Dingen, die ich für alle Ewigkeit mit meinem Patenonkel verbinde. Stundenlang saßen wir zusammen im Wohnzimmer seines Hauses in Marburg vor dem Schachbrett. Ich hatte eigentlich eine Chance gegen den Professor. Wenn ich mal gewann, dann, weil er es wollte. Und ich tat, als merkte ich es nicht.

Aber auch: Die Traurigkeit, weil er nicht zu meiner Hochzeit kommen wollte. Seine Begründung, hammerhart, aber ehrlich, er war kein Mann der Vorwände. Meine stur verschränkten Arme über viele Monate, dann der Sprung über meinen Schatten, bevor der zu lang wird, um ihn noch zu überwinden, man kann das doch nicht einfach tun, lange nachtragen, diese Verbindung endgültig kappen, und wer weiß, wie lange man sich noch hat …

Der letzte Besuch, wie immer im Herbst, er kann nicht mehr aufstehen, bleibt der Kaffeetafel fern. Meine Frau hat es vor mir erkannt, lass uns nicht gehen, ohne dass du dich von ihm verabschiedet hast, sagt sie. Ich lege mich neben ihn aufs Bett, gebe ihm das Mitbringsel, ein kleines Foto-Buch mit den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von ihm und seinem besten Freund, meinem Vater, wie sie, beide Mitte 20, mit den Fahrrädern bis nach Schweden radeln und zurückkommen und Familien gründen, der sie jahrzehntelang von dieser Heldentat berichten werden. Die beiden sind durch Höhen und Tiefen gegangen, haben sich zwischenzeitlich verloren und – mit ein wenig Nachhilfe von uns – im hohen Alter wieder gefunden.

Mein Patenonkel blättert durch das Album und lächelt still. So behalte ich ihn in Erinnerung.