Endlich. Es ist Heiligabend, und mit dem Schließen der letzten Geschäfte ändert sich der Fluss der Zeit. Sie verlangsamt sich, wie Honig, der immer zähflüssiger fließt. Der Nachmittag des 24. Dezember ist für mich das Schönste an Weihnachten. Ich schaue aus dem Fenster zu, wie das Pendel da draußen langsam ausschwingt, und dann ist es da, dieses ganz spezielle Heiligabend-Gefühl: Jetzt nach Hause fahren.
Das ist wie – naja, wie eine Art Phantomschmerz. So, wie Vianne Rocher in “Cocolat” den Drang verspürt, weiterzuziehen, wenn dieser Wind aufkommt, so zieht es mich nach Hause, am Nachmittag des Heiligen Abends. Dass dieses Zuhause schon lange nicht mehr da ist, wird daran wohl nie etwas ändern.
Die Sehnsucht nach dem, was mal war, ist zäh und langlebig, sie lässt sich nicht abschütteln, und inzwischen will ich das auch gar nicht mehr. Vermissen gehört zu Heiligabend wie das Glöckchen, das zur Bescherung bimmelte, und die schiefe Gesang meines Vaters. (Ok, manches fehlt mir nicht soo sehr.)
Ein bewegtes Jahr war es, wieder mal. Die Abschiede vollzogen sich diesmal im beruflichen Umfeld. Dort allerdings waren sie so zahlreich wie nie. Es dauert, bis aus einem umgepflügten Acker wieder was wächst, aber inzwischen sprießt das eine der andere Pflänzchen, und es fühlt sich noch besser an, wenn man selbst am Säen beteiligt ist. Neue Leute mit neuen Ideen sind da, das ist erfrischend und erinnert alte Säcke wie mich wohltuend daran, wie wir mal waren.
In diesem Jahr hab ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Auto durch eine amerikanische Großstadt gesteuert. Und zum ersten Mal Yoga gemacht. (Auch wenn “Adho Mukha Svanasana” bei mir eher nach “Fauler Hund” aussieht.) Ich hab zum ersten Mal in einer viele Jahre währenden Auseinandersetzung die Perspektive gewechselt und die Sache mit anderen Augen betrachtet. Ich bin zwei oder drei Mal über meinen Schatten gesprungen – aber sicher habe ich auch viele Gelegenheiten dazu verstreichen lassen.
Heute also geht’s zur erweiterten Familie. Ich schaue auf dem Weg bei meiner Mutter vorbei und zünde eine Weihnachtskerze bei ihr an. Vielleicht singe ich sogar was. Hört ja keiner, da draußen, am Rand des Dorfes.
Frohe Weihnachten dir und euch allen.