Eine Wendung der Geschichte, wie sie mir gefällt: Wo einst die fundamental-frommen “Pilgerväter” nach der Überfahrt über den Atlantik das erste Mal an Land gingen und ihrem Schöpfer dankten, dass sie die strapaziöse Reise lebend überstanden hatten, flattern heute zahllose Regenbogenfahnen im Wind, händchenhaltende Männerpaare flanieren über die Commercial Street. Wir sind in Provincetown, einem 3500-Einwohner-Ort an der Nordspitze von Cape Cod, das seit mehr als 30 Jahren ein bevorzugtes Urlaubsziel von Schwulen und Lesben ist. Von Boston aus geht eine Fähre hierher, und entsprechend viele Bostonians verbringen offensichtlich gern mal ein Wochenende in “P’town”: Es ist Sonntag, und aus unserem Frühstückscafe am Hafen sehen wir sie mit Rollkoffern Richtung Fähre laufen. Heterosexuelle scheinen hier eindeutig in der Minderheit. Und das kam so.
Die ersten hier waren die Nauset-Indianer; sie siedelten schon um 1500 in dem Gebiet, lebten von Fischfang, bauten Mais an und nannten den Ort Meeshawn. Einige Straßennamen erinnern heute an die Ureinwohner. Anfang des 17. Jahrhunderts stellte ein Mann namens Bartholomew Gosnold im Vorbeisegeln fest, dass es in diesen Gewässern von Kabeljau nur so wimmelt, und nannte die Halbinsel Cape Cod. Fatal war wenig später der Besuch eines gewissen Thomas Hunt in dieser Gegend – nicht nur, weil er Indianer kidnappte und als Sklaven in die Alte Welt verschiffte. Seine Matrosen schleppten eine Krankheit ein, die sich zur Epidemie entwickelte und 75 Prozent der Ureinwohner im Gebiet des heutigen Neu England ausgerottet haben soll.
Die Pilgerväter pilgern weiter
Wenig später, im Jahr 1620, kam es dann zu jener legendären Landung eines erstaunlich kleinen Segelschiffs mit dem Namen Mayflower in eben dieser Bucht von Cape Cod. Die englischen Kolonisten bedienten sich an den Maisvorräten der indianischen Einwohner, kehrten Cape Cod aber bald den Rücken, nachdem sie festgestellt hatten, dass sie selbst dem sandigen Boden nichts abzutrotzen vermochten. Sie segelten hinüber ans Festland, auf die andere Seite der Bucht, und gründeten dort Plymouth – mit der Folge, dass der Ort heute von Touristenbussen überschwemmt wird und der Felsen, der angeblich die Landungsstelle markiert, von Souvenirjägern inzwischen zu einem Felsenbröckchen heruntergekratzt wurde.
Zu den “Pilgervätern” und ihrer ersten Siedlung drüben in Plymouth später mehr. Wir bleiben zunächst in Provincetown, wo an die Kolonisten mehrere Gedenktafen sowie das Pilgrim Monument erinnert. Es sieht aus wie ein italienischer Torre, was daran liegen mag, dass es einem Turm aus Siena nachgebildet ist.
Nach den Briten kamen weitere Europäer. Provincetown wuchs und wurde im 19. Jahrhundert ein Zentrum des Walfangs, zugleich zogen auch immer mehr Künstler an die Bucht. Die Herstellung des Petroleums brach den Walfang-Boom. Portland Gale, ein verheerender Sturm, zerstörte viele Gebäude. Die Fischerei lag am Boden, doch die Künstler füllten die Lücke, übernahmen die Häuser und zogen immer mehr kreative Geister nach Provincetown.
Und wer schneidet die kreativsten Frisuren? Wer bindet die ausgefallensten Blumensträuße? Wer weiß – neben der katholischen Kirche – immer als erster, wo es sich angenehm leben lässt? Eben.
Und so kam es, dass Provincetown zu einem Mekka der Schwulen und kessen Pilgerväter wurde.
Eine wunderschöne Serie, Moni.
Das freut mich, Janko, vielen Dank!