Japan und der Blick von draußen

Ich versuche mir vorzustellen, wie es sich anfühlt, auf unbestimmte Zeit auf drei Quadratmetern Fußboden einer Turnhalle leben zu müssen, inmitten von Fremden, mit nur wenigen persönlichen Sachen, voller Sorge um Angehörige, um das eigene Zuhause, das ein Erdbeben zertrümmert, eine riesige Welle weggeschwemmt hat, oder voller Trauer um verlorene Freunde, Trauer, die sich nicht Bahn brechen kann, weil man nie alleine ist, weil immer entweder andere Menschen oder Fernsehkameras in der Nähe sind. Ich versuche mir vorzustellen, wie es wäre, wenn das Grauen noch immer nicht zuende ist, wenn es immer noch schlimmer werden könnte, und man selbst nichts, rein gar nichts dagegen tun kann.

Die Japaner erleben die Apokalypse. Wir sind weit weg, sehen irreal wirkende Bilder, wie sie Hollywood nicht dramatischer hätte inszenieren können, und ich frage mich, was Menschen ertragen können, und wie die Japaner je wieder hoffnungsvoll in die Zukunft schauen sollen.

Am vergangenen Donnerstag habe ich den Newsroom für längere Zeit verlassen. Die Katastrophe von Japan, die am Freitag begann, erlebe ich nicht “im Dienst”, muss sie nicht berichterstattend begleiten. Ich weiß, wie schnell man in solchen Situationen in den Strudel gerät, vor allem, wenn man für eine Online-Redaktion arbeitet. Der Strudel beginnt mit einer Eilmeldung, die auf dem Monitor aufploppt, und der in immer kürzeren Abständen weitere folgen. Eine Meldung macht die vorangegangene obsolet, und damit den Text, an den man man gerade hektisch schreibt, denn die ersten (wenn auch mageren) Zeilen müssen sofort online gehen. Dann setzt die Flut von Bildern ein. Sichten, auswählen, online stellen – schnell schnell schnell. Kaum Zeit zum Nachdenken.

Dann, später, die Suche nach alternativen Formulierungen für die Überschriften. Wie lange kann eine Lage “eskalieren”, wie oft aufs Neue sich “zuspitzen”, um wieviel “dramatischer” noch werden? Gibt es eine Steigerungsform von “außer Kontrolle”? “Verfolgen Sie die Ereignisse im Liveticker” klingt zynisch, aber es ist keine Überraschung, dass die meisten Onlinemedien zum Liveticker greifen, um der Meldungslage annähernd Herr zu werden. Wenn man davon überhaupt sprechen kann. Und Liveticker scheinen mir in vielen Fällen die bessere Alternative zu Sondersendungen, die im Grunde eine wortreichere Wiederholung der Nachrichten sind plus Ranga Yogeshwar (vermutlich der erste Journalist, der uns wirklich verständlich erklären konnte, was da vor sich geht in so einem Reaktorbehälter.)

Ich bin froh, dass ich diesmal nicht drin bin im Strudel. Und ich sehe, dass viele Kolleginnen und Kollegen auch jenseits der Liveticker einen guten Job machen.

Inzwischen ist das Drama in Japan in vielen Medien nicht mehr Aufmacher, das Drama in Libyen hat es abgelöst. Der Atom-Super-Gau ist bislang ausgeblieben, und es ist klar, dass einer tagelang beschworenen Katastrophe, die auf sich warten lässt und vielleicht doch nicht stattfindet, nicht mehr unsere allererste Aufmerksamkeit gilt. Für die Japaner hat der Super-Gau stattgefunden: Was sie durchmachen, fühlt sich mit Sicherheit an wie das größte anzunehmende Unglück.

Ein Kommentar

  1. Gänsehaut … aber keine Schöne.
    Darüber denke ich auch nach wie das auszuhalten ist.
    Ganz besonders die alten Menschen oder die die vielleicht vorher schon nicht viel Kraft hatten.
    Wumms 1000fach auf die Mütze.
    Das ist unvorstellbar.

    Und wenn die Erde nicht schon von selbst wackelt, dann gibt´s doch immer wieder Idioten die sie zum Wackeln bringen.

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