Zeitungsverleger lesen nicht

Das langsame Sterben der Tageszeitungen geht weiter – und die neue Imagekampagne des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) wird darauf einen eher beschleunigenden Einfluss haben. Die Kampagne Die Zeitungen. Wer liest, versteht soll den Tageszeitungen aus dem Siechenbett helfen und beweist doch nur eins: Dass die Verleger noch immer nichts begriffen haben.

Die Motive zeigen einzelne Meldungsschnipsel, die – gemeinsam gelesen – Zusammenhänge erklären. Beispiel: Börsenkurse rauf – Auftritt Osama bin Laden – Börsenkurse runter. Oder: “Loch im Stadtsäckel größer als befürchtet” – “Drei neue Radarfallen in der Innenstadt”. Aha. Wer hätte da einen Zusammenhang vermutet? Wie gut, dass wir die Tageszeitung haben.

Laut BDZV lautet die Botschaft: Nur wer Zeitung liest, kann wirklich mitreden. Nur wer Zeitung liest, kann mitentscheiden. Und wer es in dieser Gesellschaft zu etwas bringen will, muss Zeitung lesen.

Oder, um es mal mit meinen Worten zu formulieren: Wir erklären euch die Welt. Ohne uns wisst ihr nicht, was da draußen vor sich geht. Ohne uns seid ihr eine Herde gutgläubiger Lemminge. Ohne uns begreift ihr nicht mal die simpelsten Zusammenhänge.

Den Printmedien laufen die Leserinnen und Leser in Scharen davon, weil sie ihre Informationen längst auch anderswo schneller und billiger bekommen. Weil sie sich nicht mehr vorschreiben lassen wollen, was sie wann erfahren – und ob überhaupt. Weil sie keinen Tageszeitungsredakteur mehr brauchen, der ihnen im 24-Stunden-Rhythmus den Weg zu Informationen ebnet. Die können sie sich längst selbst holen, und das rund um die Uhr. Sie können sogar selbst Nachrichten machen, wenn nötig.

Brauchen wir also keine Zeitungen mehr? Doch, klar. Wenn sie uns das liefern, was wir nicht an jeder Straßenecke bekommen. Warum soll ich Geld ausgeben für einen lieblos zusammengewürfelten Haufen gedruckter Agenturmeldungen, die ich wortgleich auch in anderen Medien finde – und das, ohne schwarze Finger zu bekommen? Die Stärken, mit denen Zeitungen ihre Stellung auch inmitten dieses medialen Sturms behaupten könnten, sind andere: Investigative, von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängige Recherche, und Mut zu Profil, zu einer klaren, fundierten Position. Dummerweise gibt’s das nicht umsonst. Und der Verlegerverband ist es, der seit Jahren in immer geringerem Maße dafür zu zahlen bereit ist. Ich kenne keinen Kollegen, der sich noch mehrere Tage oder gar Wochen Zeit für eine umfassende Recherche nehmen kann. Der BDZV hat erheblichen Anteil daran, dass die Zeitungen ihre eigentlichen Stärken verloren haben, dass sie zu billigen Agenturschleudern verkommen und Redakteurinnen und Redakteure zu Contentisten degradiert worden sind.

Ein Motiv der Kampagne offenbart übrigens unfreiwillig, warum den Zeitungen die Leser von der Fahne gehen: Unter vielen vermeintlich guten Nachrichten (“Stadt schafft neue Kindergartenplätze”, “Rathaus spendiert Sportverein neues Turnhallendach”, “Kinder bekommen neuen Spielplatz”, “Stadtrat stiftet Senorienclub Kleinbus”) ist die Meldung “Bürgermeisterwahl: Amtsinhaber optimistisch” platziert. Da sei die Frage erlaubt: Wer braucht eine Zeitung, die sich zum willfährigen Sprachrohr populistischer Politiker macht und Schlagzeilen liefert, die klingen, als habe der Amtsinhaber persönlich die Feder geführt?

Eben.

7 Kommentare

  1. Stimmt alles, was du schreibst. Allein den “Heuschreken”, die sich nun Verleger nennen, interessiert’s wohl kaum. Rendite, Verlag = Rendite.
    Unter betriebswirtschaftlichen Blickwinkeln haben sie sogar recht – doch was ist Journalismus? Sicher nicht das Zusammenschrauben von Spielzeugteilchen in China. Das versteht der neuen / /die neuen Eigentümer aber nicht.

    Ein Problem heute ist: Wir kaufen ein Unternehmen und möchten Geld verdienen ohne etwas dabei zu tun. Wir möchten unser Geld “arbeiten” lassen. Nicht nur die Heuschrecken, diese Mentalität fängt bei uns allen an, beim Nachbarn und beim Kollegen am gegenüberliegenden Schreibtisch. Solange wir Börsenkurse zelebrieren wie unsere Großeltern den Rosenkranz, sind wir für die Konsequenzen selber auch verantwortlich.

    Was ich so toll finde an deinem Vorschlag ist, du bist in deiner Moderne, in deinen innovativen Gedanken den VerlagsGründern so nahe, du beschreibst das Wesentliche der Verlage, du zeigst wozu es Zeitungen überhaupt gibt!
    Zu Beginn waren sie die einzigen Massen-Infoquellen, die Recherche betrieben. Dahin soll’s deiner Meinung nach zurück gehen. Das wäre schön, funktioniert aber wohl aus etlichen Gründen nicht. Ich bin trotzdem auf deiner Seite, da ich meine, dein Beruf, der Beruf der Journalistin/Journalist darf keinesfalls aussterben. Dabei glaube ich nicht an die Printmedien – 25 Jahre in die Zukunft geblickt = derselbe Journalismus ohne gedruckte Zeitungen – aber das ist ein (interessantes) Thema für sich.

    Guter Journalismus muss und wird immer Geld kosten – und wird auch immer funktionieren, wenn die Gesellschaft es denn will (und das will jede Gesellschaft) – aber die Form und die Art ist im Wandel begriffen. Ich glaube nicht, dass man Altes mit Schönheitskorrekturen verjüngen kann, aber die Besinnung, wie du es schriebst, aufs Wesentliche, quasi was Journalismus ausmacht, das bringt’s. In welcher Form Morgen auch immer…

    Viele Grüße und sorry für so viel Text

  2. Printmedien haben eine Chance, wenn sie ein eigenes Gesicht haben, sich abheben. Ich bin fest überzeugt, dass auch in einem Jahrzehnt immer noch Menschen gerne in der Bahn, auf dem Sofa oder beim Frühstück eine Zeitung/Zeitschrift lesen wollen. Vorausgesetzt, dort stehen Hintergründe, Analysen, Meinungen, die über die Meldung im Radio/Fernsehen/Internet hinausgehen. Aber der Trend geht doch genau in die andere Richtung: Alles schön kurz, den Leser bitte nicht überfordern und daher kleine Häppchen servieren. Und im Lokalen übernimmt man Berichte, die Vereine, Parteien etc. eingeschickt haben – zumindest klingen sie oft so, weil ja kaum noch jemand für eigene Recherchen da ist, schließlich sind Journalisten dort mittlerweile oft Blattmacher, Schreiber und Fotografen in einem. Oder ungelernte Freie werden an alles gesetzt.
    Das Problem ist wahrscheinlich auch, das von den Verlegern kaum jemand das Medium Internet wirklich so nutzt, wie es die Lesern tun.

  3. Danke für eure Kommentare. Sogar bei uns ist kürzlich das Schlagwort “online first” gefallen – wenn auch nur im kleinen Kreis. ;) Eine Crossmedia-Denke allein rettet die Zeitungen allerdings auch nicht, wenn die Inhalte nicht stimmen.
    Hm, die Heuschrecken-Debatte ist, glaub ich, in diesem Zusammenhang nur eine Randerscheinung. Auch Verlage müssen Geld verdienen, und schon daran hapert es – an nennenswerte Rendite, gar zweistellig, ist vielfach gar nicht zu denken. Rosa beschreibt die Entwicklung sehr treffend – wie damit künftig mehr Umsatz gemacht werden soll, bleibt (nicht nur) mir schleierhaft.

    PS: Keine Sorge, Georg, hier gibt’s kein Zeilenlimit! :)

  4. Es liegt tatsächlich an dem Konzept “Zeitung” selbst.

    Crossmedia für mich bedeutet:

    Ich lese den “News-Kram” im Web, amüsiere mich auf Blogs und erwarte in “meiner Zeitung” Background, gerne Tage später, solange Online verlinkt und investigativ geschrieben.
    Fernsehen gehört dazu und Radio. Sorry, podcast.

    Sowas ähnliches würde ich mir wünschen. Von einer Redaktion. Gestaffelt.

    Vom Web ausgehend und wieder dazu zurückgeführt als Archiv.
    Journalismus aals Wegweiser durch den Mediendschungel.
    Da würde das Konzept Blog auch dazu passen.

    Und nicht dieses Papiermonster, das alles nachplappert, was ich eh schon weiß.

    Mal so ins Unreine gesprochen.

    Und dafür würde ich auch ZAHLEN, Gerne sogar..

    Ausführlicheres auf Anfrage ;-))

    Ich habe gerade wieder erlebt, wie halbe Kinder über meine Bloglesung berichteten…. :((

  5. schuuur
    da hab ichs zusammengefasst und mit allen links und Zeitungsausschnitten

    http://kurpfalznotizen.de/presserundschau-bloglesung.html

    Ich werd auch noch mal über meine medialen Träume im Lockbuch schreiben, die Tage..

    und für Journalisten vielleicht ein Link, wie es nicht passieren soll:
    Chemieriese (mit Vorstand im Impressum) läßt Monopolzeitung bloggen, mischt StudiCom mit Eigenwerbung und Nachrichten aus der Region.

    Bitte soooo nicht

    http://blog.rheinneckarweb.de/

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