Zeitmaschine

Unter den Fragen, die Liisa zum Feminismus stellt, gibt es nur eine, die ich rundheraus beantworten kann und möchte. Was nicht bedeutet, dass der Rest des Fragebogens nicht interessant wäre. Sondern nur, dass ich persönlich damit wenig anfangen kann.

Feminismus für mich kein eigenes Thema, kein Schlagwort, zu dem mir Assoziationen einfallen, kein Fachgebiet, über das ich mich in einschlägigen Medien informiere – sondern eine Einstellung, die mein Leben wie selbstverständlich begleitet. Etwas, das schon so lange zu mir gehört, mir so vertraut ist wie der Leberfleck an meinem … na, jedenfalls: Etwas, das keiner Rechtfertigung, aber auch keine weiteren Erläuterung bedarf. Vermutlich tue ich mich deshalb schwer, abstrakt darüber nachzudenken. Der Feminismus führt ein stetes, stilles Dasein in mir – bis es mal wieder einen Anlass gibt, lautstark in Erscheinung zu treten. (Kollegen – vergesst nie, was da unter euch schlummert! ;)) Ich werde wohl nie verstehen, dass junge Mädchen heute angewidert “Iiiiiiiih” schreien, wenn sie man sie auf Feminismus anspricht, aber T-Shirts mit der Behauptung “Zicke” tragen. Aber bitte, ich muss nicht (mehr) alles verstehen.

Wie auch immer: Eine von Liisas Fragen beantworte ich gerne. Sie lautet: Wenn Du für einen Abend eine Frau aus der Geschichte treffen könntest, wen würdest Du gerne warum treffen? Und das, da gibt es kein Zögern, wäre ganz eindeutig und von Herzen gerne: Annette von Droste.

Das Adelsfräulein aus Westfalen, die Dichterin, die sich das Schreiben nicht verbieten ließ, die Frau, die Männer und Frauen gleichermaßen zu lieben verstand, begleitet mich seit nun fünfzehn Jahren. Um sie drehte sich meine Magisterarbeit, auf ihren Spuren durchstöberte ich Bibliotheken, schrieb Artikel, reiste zwischen Paderborn, Münster und Meersburg hin und her, strich ehrfürchtig über das alte Holz ihres Schreibsekretärs. Die Droste, ihre Familie, ihre Förderer, ihre Freundinnen machen einen Gutteil meines Bücherregals unter sich aus, und auf der unermüdlichen (wenngleich sicher vergeblichen) Suche nach einer Erstausgabe habe ich gerade in diesen Tagen ein Angebot entdeckt, das mir eine Gänsehaut verschaffte: Ein eigenhändiges Manuskript, das ein Buch- und Autographenhändler in Tutzing zum Kauf anbietet – für knapp 10.000 Euro. Falls ich also mal im Lotto gewänne, wüsste ich, wohin mit dem Geld.

Zu gerne würde ich mich von der Hausherrin ins Schneckenhäuschen im Rüschhaus aufs Kanapee einladen lassen, mit ihr trefflich über Adele Schopenhauer, Sibylle-Mertens, Ottilie von Goethe, über Levin, Cotta und Hüffer und natürlich über die Bornstedt tratschen und mich, wenn die Sonne über Nienberge untergegangen ist, bei ihren Schauergeschichten gruseln …

Bis es soweit ist, habe ich Annette von Droste zu mir eingeladen – das heißt, in meine Zeit. Ich habe sie zur Bloggerin gemacht. Nach hundert Jahren ist ein literarisches Web-Projekt, das noch in den Anfängen steckt, aber in den kommenden Wochen stetig wachsen wird. Eine Idee, die langsam Form annimmt. Über Anregungen und Feedback freue ich mich – hier, nicht dort, denn die Kommentarfunktion hat Annette (noch) geschlossen. Das Fräulein hat keine Lust auf Spam.

3 Kommentare

  1. Naja, wenn man über solche Themen sprechen will, muß man sie halt irgendwie “abstrahieren”. ;o) Aber ich verstehe was Du meinst, bzw. wie es Dir damit geht. Trotzdem freue ich mich natürlich sehr, daß diese Fragen zu diesem Eintrag hier geführt haben und Du ihn gleich genutzt hast, Dein neues Webprojekt vorzustellen. Ich bin sehr angetan und beeindruckt! (Hättest mir ja ruhig mal was vorab verraten können! ;o) ) Jedenfalls habe ich gleich auch im Litblog darüber berichtet und auf das Droste-Projekt verlinkt. Das dürfte ein paar interessierte Besucher bringen! :)

  2. Schön, was du mit deinem Wissen machst. Statt es in deinem Hirn “brachliegen” zu lassen, dürfen wir Anteil daran nehmen. Die Webseite “nach100Jahren.de” ist einfach phänomenal! Die Idee, ihre Briefe als Blog zu gestalten, ist schlichtweg genial!
    Ich hatte mit 15 Jahren einen erstklassigen Deutschlehrer, der uns “Die Vergeltung” auswendig lernen und vortragen ließ (kann ich heute noch) und der damit erst mein Interesse an der Literatur geweckt hatte. Später vertonte ich dieses Gedicht in einem Blues begleitet auf meiner Gitarre. Man, was waren das noch Zeiten! An die du mich mit der Droste-Seite so erinnert hast. Ich war bis eben über eine Stunde lang dort und nicht eine Sekunde hab ich die Zeit vergehen gespürt.

  3. Danke euch beiden! Die Resonanz ist durchweg positiv, und ich freue mich auch über die Erwähnungen an anderer Stelle. Ich werde in den kommenden Monaten viel Arbeit in das Projekt stecken und hoffe, dass Daily Mo darunter nicht noch mehr leidet…

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