Zäsur

Der Tag, der die Welt veränderte ist eine bis zum Überdruss strapazierte Beschreibung. Wie sehr sie dennoch zutrifft, wird mir bewusst, wenn ich in Gedanken zu erklären versuche, was in den vergangenen fünf Jahren geschehen ist – jemanden, der den 11. September 2001 nicht mehr erlebt hat. Jemandem, der gestorben ist, als die Welt noch eine andere war.

Erst wenige Tage vor dem 11. September 2001 war ich von einer Print- in die Online-Redaktion gewechselt, kannte die Arbeitsabläufe noch nicht. An diesem Mittag ging ich nicht mit den anderen Kollegen in die Kantine; ich glaube, ich war damit beschäftigt, mich einzurichten, fehlende Programme zu installieren… Dann kam eine Rundmail aus der Chefredaktion: “In New York ist ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen. Nachrichten einschalten!” Ich schaute mich um – in meinem neuen Büro gab es damals kein Fernsehgerät, und über eine TV-Karte verfügte lediglich der Rechner des Ressortleiters.

Ich ging ein Stockwerk tiefer in meine frühere Redaktion, wo der Fernseher bereits lief, und traf einen meiner Ex-Kollegen an. Er stand vor dem Gerät, die Hand vor dem Mund. Auf dem Bildschirm waren die Türme zu sehen und eine riesige Rauchwolke, die seitlich in den Himmel ragte. Ich fragte so etwas wie “Eine kleine Propellermaschine ist da reingeflogen, hab ich gehört?” Natürlich hatte ich das so nicht gehört – aber es war das Bild, das ich wie selbstverständlich im Kopf hatte. Etwas anderes war schlicht nicht vorstellbar, damals.

In der Welt danach ist fast alles vorstellbar geworden.

3 Kommentare

  1. War die Welt vor dem 11.September 2001 wirklich eine Andere oder sind wir aus unserem Traum von ihr erwacht?
    Ich trauerte damals um die Menschen die durch den Anschlag starben, Worte für die Trauer über das Ausmaß der Zerstörung durch blinde Menschen zu finden ist und war mir nicht möglich. Nun trauere ich um mich, um uns, diejenigen die weiterleben und aufgrund dieses schrecklichen Ereignisses näherrückende Bedrohung, gegenwärtigere Angst und vollkommenes Mißtrauen in Mitmenschen erfahren mussten. Uns wünsche ich die Kraft aus unseren Träumen zu erwachen um in Wachsamkeit und Liebe an einer besseren Welt in uns und um uns mitzuwirken.

  2. Fünf Jahre nach den Anschlägen haben Augenzeugen ein Video veröffentlicht, gefilmt aus den Fenstern ihrer Wohnung unweit des World Trade Centers: What we saw.

    Danke für deinen Kommentar, Sofie.

  3. Dass wir erwacht sind, muss an sich noch nicht das Ende sein. Es ist vielmehr ein Anfang. Und der Angst können und sollen und dürfen wir Mitmenschlichkeit und Liebe entgegen setzen. Wenn die Welt vergiftet scheint, können wir gleichwohl unseren eigenen Garten pflegen und uns daran erfreuen. Wir müssen nachfragen, uns interessieren, das Gespräch anbieten – überall da, wo unser Unwissen Angst erzeugt. Und wir müssen uns auch wehren – indem wir durchschauen, welche Macht und Wirkung der Terror erzeugt, wenn wir uns durch die Angst lähmen lassen. Da werde ICH dann kämpferisch. Und steige bewusst ins nächste Flugzeug.

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