Alles vom Billigsten

Bahnhofsviertel bei Nacht

Kreuzung Elbe- und Niddastraße. Foto: Arne Hückelheim, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Jungs trauen sich offenbar nur im Rudel rein. Jedenfalls tauchen sie auf den Monitoren, die uns einen Blick in die Flure über uns gewähren, meist zu mehreren auf. Wir stehen in einer Art Hausmeister-Büro, gelegen im Erdgeschoss eines Bordells im Frankfurter Bahnhofsviertel, und sehen mittels Überwachungskameras ein paar Kerlen mit tiefhängenden Jeans und Baseballkappe zu, wie sie über uns von Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer laufen (daher die Bezeichnung “Laufhaus”). Sie glotzen, feixen, gehen weiter. Später werden sie sich vor ihren Kumpels mit ihrem Puffbesuch dick tun. Aber eigentlich sind sie nur hier, um die Prostituierten zu begaffen, die spärlich bekleidet auf Barhockern sitzen oder an der geöffneten Tür ihres Zimmers lehnen. Das Geschäft läuft offensichtlich schleppend. Es ist noch früh am Abend. Nachts ist hier ein bisschen mehr los – und mittags, wenn man ringsherum in den Büros, Agenturen und Banken pausiert. “Einblick in das älteste Gewerbe der Welt” verspricht die vierstündige Führung durch das Frankfurter Rotlichtviertel – Gespräche mit Gewerbetreibenden inklusive.

Im Tennisclub war’s schlimmer

Begonnen hat der Abend für uns in einer Animierbar. Bei einem Glas Prosecco erläutert die Chefin das wohl verblüffenste Geschäftsmodell im Rotlichtviertel: Männer zahlen Hunderte, ja Tausende Euro an einem Abend – allein dafür, dass Frauen sich mit ihnen unterhalten. Mit Anbahnung habe das nichts zu tun, betont sie: Ihre Mitarbeiterinnen, denen sie ein Fixum plus Provision zahlt, seien keine Prostituierten. Von der üblichen Gastronomie unterscheide ihren Laden nur, dass hier klare Regeln kommuniziert würden: Nur reden, nicht anfassen. Ist der Schampus leer, ist auch das Gespräch beendet. “Im Tennisclub zu kellnern war schlimmer”, sagt die Geschäftsführerin. Da wurde nicht groß gefragt, sondern einfach gegrapscht.

Eng wird es, als wir – zehn Teilnehmerinnen der Führung – uns anschließend in das kleine Kabuff im Nachbarhaus drängen. Der Mann, der uns hier seinen mit Monitoren vollgepackten Arbeitsplatz zeigt – ein muskelbepackter Osteuropäer um die 40 mit leichtem Bauchansatz -, nennt sich “Security”. Mit ein paar Kollegen sorgt er im Auftrag des Hausbesitzers dafür, dass in den rund 30 Zimmern Geld verdient wird. Wer dabei stört, wird vor die Tür gesetzt: Freier, die ausfällig werden oder nicht zahlen wollen. Und Prostituierte, die mit ihrer Tagesmiete in Rückstand geraten.

Solange die Frauen, die hier arbeiten, abends ihre 140 Euro auf den Tisch legen können, sei ihm egal, was sie in den angemieteten Zimmern treiben, sagt er. Reingucken könne er eh nicht. Kameras gebe es nur in den Fluren, versichert er und zeigt auf eine Reihe von roten Lämpchen an der Wand. Wenn eine davon leuchtet, dann wurde ein Alarmschalter gedrückt, mit denen jedes Zimmer ausgestattet ist. Dann mache er sich auf den Weg nach oben, um die Situation zu klären. Die “Mädchen” jedenfalls könnten sich hier sicher fühlen. Zwangsprostitution? Nicht bei uns, winkt er ab. Damit wolle man nichts zu tun haben. “Wenn wir da was merken, wenn ein Zuhälter auftaucht und Druck macht oder so, dann muss die Frau gehen.”

Was heißt schon freiwillig?

Ungefähr 600 Prostituierte sollen in den 14 Laufhäusern im Frankfurter Bahnhofsviertel arbeiten. Das wäre die Hälfte aller Frauen, die nach Schätzungen der Polizei in der Stadt insgesamt anschaffen gehen. Doch wie viele machen das wirklich freiwillig? Und überhaupt: Was heißt schon “freiwillig” in diesem Zusammenhang? Viele der Betroffenen kommen aus ärmsten Verhältnissen, darauf hat gerade wieder die Organisation “Frauenrecht ist Menschenrecht” hingewiesen. Die Beratungsstelle Tamara hat eine rumänische Sprechstunde eingerichtet, denn inzwischen stammen laut Polizei 70 Prozent der Prostituierten in Frankfurt aus Bulgarien oder Rumänien. “Bei uns bestimmt 90 Prozent”, meint der Hausmeister des Bordells, in dem wir uns an diesem Abend umschauen. Viele hätten Kinder, die sie oft zuhause bei Verwandten lassen würden. Sie würden zwei, drei Jahre hier arbeiten, dann zurückkehren in ihre Heimat, wo sie sich von dem verdienten Geld ein besseres Leben machen würden, vielleicht ein Haus kaufen, ihren Kindern eine Ausbildung ermöglichen. Klingt doch supi. Nicht? Nein.

Kaiserstraße in Frankfurt

Kaiserstraße in Frankfurt. Foto: Monika Gemmer

Die Frauen, die während des Gesprächs im Bademantel an uns vorbei in einen Aufenthaltsraum schlurfen, um sich dort etwas aus dem Kühlschrank zu holen, sind blutjung. Und die einzige, mit der wir an diesem Abend wirklich ins Gespräch kommen, ist nicht repräsentativ. Wir gehen die Treppen rauf, an den schreiend-roten “Girls!!!”-Wegweisern und abgegriffenen Bildern von Frauen in eindeutigen Posen vorbei, und betreten den Arbeitsplatz von K. Der Raum ist so heruntergekommen wie das ganze Haus. Die Wände bräuchten dringend einen neuen Anstrich, der Boden ist abgewetzt, der Rahmen des offenstehenden Fensters sieht irgendwie angeschimmelt aus. Die vielleicht 15 Quadratmeter sind mit dem Nötigsten möbliert: Ein Bett, eine Kommode, ein Einbauschrank. Ein Fernseher, auf dem gerade tonlos eine Kinderserie läuft. Und ein Bock, auf den sich K.’s Kunden bäuchlings drauflegen, um sich “behandeln” zu lassen. Zum Beispiel mit der Peitsche, die neben den in die Wand eingelassenen Halsringen hängt. Wir dürften uns gerne setzen, sagt die Mieterin und deutet Richtung Bett. Unsere kleine Besucherinnengruppe bleibt geschlossen und etwas peinlich berührt stehen.

Unser Führer hatte uns vorgewarnt. “Das hier ist Aldi” – mit diesen Worten hatte er zu Beginn die Frankfurter Rotlichtbranche beschrieben. Ich finde, im Aldi sieht’s gepflegter aus. Was er meint: Die Bordelle, die Dienstleistungen, die Darbietungen in den Striplokalen: Alles vom Billigsten. Darüber kann auch der rote Plüsch im “Pik Dame” nicht hinwegtäuschen, wo wir später, zum Ausklang der Führung, einkehren werden.

Sehen darf man’s nicht

K., die Domina, wirkt wie eine, die schon viel gesehen hat. Ihr Alter kann ich nur schwer schätzen – irgendwo zwischen 40 und 50 vielleicht. Sie mache den Job jetzt seit zehn Jahren, sagt sie. “Und langsam reicht’s.” Dabei gilt sie hier als Besserverdienerin: Mit 50 Euro für 20 Minuten kann sie deutlich mehr verlangen als ihre Kolleginnen in den Zimmern nebenan. Die werden nicht selten mit 20 Euro “für alles” abgespeist, und selbst das scheint noch im oberen Bereich zu liegen. Aber Demütigung lassen sich Freier eben mehr kosten als Geschlechtsverkehr. Der Stammkunde einer Kollegin bringt immer seine Matchbox-Autos mit. Wenn er auf dem Fußboden damit spielt, muss die Frau irgendwann unerwartet dazwischen gehen, ihn als faul beschimpfen und seine Spielzeugautos mit roten Stöckelschuhe zertreten. Gegen Bares findet hier jede Sehnsucht ihre Erfüllung. Nur sichtbare Spuren am Körper darf eine Domina nicht hinterlassen, beispielweise mit der Gerte. Da sind die Herren, vom Handwerker bis zum Manager, dann doch empfindlich. Wegen der Ehefrau daheim.

20 Euro pro Freier: Um damit die Miete fürs Zimmer, das Geld zum Überleben und vielleicht sogar was zum Zurücklegen zu verdienen, muss das Geschäft schon ziemlich gut laufen. Und das tut es immer seltener. Wenn die Fleischereiwirtschaft oder die Automobilbranche zur Messe in der Stadt sind, brummt es in den Bordells des Bahnhofsviertels, aber normalerweise herrscht hier weniger Betrieb.

Der Vermieter dieser Rumpelkammer kann sicher nicht klagen. Mal kurz überschlagen: Bei einer Auslastung von, sagen wir, 70 Prozent käme er auf rund 3000 Euro. Abzüglich der 15 Euro pro Frau, die ans Finanzamt weitergereicht werden müssen (ob das tatsächlich immer passiert, sei mal dahingestellt), bleiben ihm rund 2700 Euro brutto. Pro Tag.

K. guckt derweil ein wenig genervt. Gerade wurde sie gefragt, was das Gute an dem Job sei. Blöde Frage, denkt sie vermutlich, und sagt laut: “Das Geld natürlich.” Und was das Schlimmste? Nun grinst sie, weil sie weiß, was ihre Besucherinnen, die hier mal kurz reinschnuppern und dann zurückgehen in ihr bürgerliches Leben, erwarten. Weil sie weiß, was jede von uns denkt: Sowas würde ich nie machen. Niemals. Für kein Geld der Welt. Doch sie tut uns den Gefallen nicht, jetzt von so etwas wie Erniedrigung zu sprechen. “Das Schlimmste”, sagt sie stattdessen, “das Schlimmste ist die Warterei auf Kunden.” Bald hat sie Feierabend, dann kommt die Kollegin, mit der sie sich dieses Zimmer teilt, und übernimmt die Nachtschicht.