Schmidt und Schätzing

Bei Kiepenheuer & Witsch lehnt Frank Schätzing in verwaschener Jeans und Lederjacke am Stehtisch, umringt von Menschen, plaudert, gibt immer wieder Autogramme. Schräg gegenüber sitzt Kathrin Schmidt in braunem Rock und brauner Jacke mit einer Kollegin vom Fernsehen am Tisch, lässt sich interviewen und fällt kaum auf.

Seit Wochen ist Schätzing scheinbar omnipräsent, man konnte dem “Limit”-Autor kaum entgehen. Der Mann versteht es, sich zu vermarkten. Seine Themen sind für ein größeres Publikum zugkräftig, sein Auftreten souverän, und so zieht Schätzing die Talkshow-Macher an wie einen Schwarm (haha). Schätzing ist eine Rampensau.

Das ist gut für ihn. Das kann nicht jeder. Anders als bei Leuten, die in der Politik oder im Journalismus arbeiten, gibt es gerade unter Schriftstellern viele, die lieber im eigenen Kämmerlein bleiben und in Ruhe schreiben würden. Lesungen sind für manche Autorinnen und Autoren ein Graus. Öffentliche Auftritte ein unangenehme Pflicht, auf die Verlage nun einmal pochen müssen, um das Werk zu verkaufen. Doch wann hört man schon einmal jemanden über diese Schwäche reden, mit Ausnahme vielleicht von Elfriede Jelinek?

Kathrin Schmidt, die deutsche Buchpreisträgerin 2009, hat darüber auf dem blauen Sofa der Buchmesse gesprochen, und mehr als alle anderen – teilweise peinlichen – Fragen war es das, was ich interessant fand.

Früher habe ich, wenn ich in solchen Zusammenhängen vor Leuten saß, immer gedacht: Was würde der jetzt denken, was würde der jetzt denken, wenn du dieses oder jenes sagst – und habe dann den Mund gehalten. So etwas ist mir heute völlig, man könnte fast sagen, egal, was jemand denkt darüber, was ich sage oder was ich nicht sage. Das ist einfach nicht mehr wichtig.

Schmidt beschreibt das als Folge ihrer Erkrankung und der Rehabilitationszeit. Wolfgang Herles, der das Gespräch fürs ZDF führt und den Roman und seine Autorin unaufhörlich psychologisiert (“Dieses Buch verdanken Sie ja einem Schicksalsschlag”), scheint das ein bisschen mager, er hätte gerne mehr davon, will Beispiele dafür, was sich noch alles verändert hat, aber Schmidt muss passen.

Mein Mann sagt immer, ich sei endlich normal geworden.

“Normal” verkauft sich aber nicht so gut. Als ginge das irgendjemanden etwas an, fragt Herles systematisch ab, ob Kathrin Schmidt – ebenso wie die Protagonistin des Romans, Helene Wesendahl – auch einer unglücklichen Liebe nachgetrauert habe, ob sie – wie die Hauptfigur ihres Buchs – ebenfalls daran gedacht habe, sich von ihrem Mann zu trennen. Vielleicht sind es auch solche Fragen, aus denen bei manchen öffentlichen Personen eine Scheu vor der Öffentlichkeit resultiert?

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Einer wie Frank Schätzing kann das ab. Der hat offensichtlich kein Problem damit, wenn ihn Beckmann jovial-augenzwinkernd fragt, woher er denn wisse, wie das sei mit dem Sex im Weltall. Komm, erzähl mal, Frank. Das ist ein Spiel um Quote und Auflage, und Schätzing spielt mit.

Kathrin Schmidts Geduld mit dämlichen Fragen endet deutlich früher. “Mal lakonisch, mal spöttisch, mal unheimlich schildert der Roman die Innenwelt der Kranken und lässt daraus mit großer Sprachkraft die Geschichte ihrer Familie, ihrer Ehe und einer nicht vorgesehenen, unerhörten Liebe herauswachsen”, so hatte die Jury in der Begründung geschrieben. Wolfgang Herles destilliert daraus die Frage: “Woher kommt diese Lakonie?” und bekommt von Schmidt die passende Antwort: “Das weiß ich doch nicht.”

2 Kommentare

  1. Deine Kritik ist nicht nur berechtigt, sie trifft ins Auge, dennoch habe ich letzte Woche Schätzing und Müller für zusammen 46 Euro (100 Mark!) gekauft. Schätzing für die langen Nächte auf Arbeit.

    Der Beckmann ist so schlimm, da hast du recht, noch schlimmer finde ich, dass ausgerechnet Reinhard Mey ihn als seinen Freund titulierte und ihn im letzten Interview freundschaftlich die Schulter tätschelte – es ging um Meys Sohn, ich glaube, Reinhard Mey kann da gar nicht objektiv sein (das nur zu seiner Entschuldigung, denn sonst wäre es für mich kaum zu ertragen).

    Herles halte ich seit Jahrzehnten für überschätzt, schrecklich arrogant und doch nur Mittelmaß der Kultur-Journalisten.

    Beckmann und Herles sind die Belege für einen Kaugummikulturjournalismus made in USA. Es ist schlimm, es ist einfach nur schlimm – oder werden wir alt?

  2. Wir werden nicht mehr alt, Georg. Wir sind es. ;)
    Den Auftritt bei Beckmann habe ich als alte (!) Mey-Sympathisantin auch bedauert und kein bisschen verstanden. Beckmann ist nicht an dem Menschen interessiert, der ihm gegenüber sitzt, sondern ausschließlich an der Story. Schätzing allerdings möchte ich gar nicht kritisieren.

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