S 9

Mit einem “Zschschsch” geht die Tür der S-Bahn auf, und ich hol Luft, so schnell und tief ich kann. Ich steh meistens hier, gleich an den Tür. Abends will ich mich nicht setzen. Abends strecke ich mein Rückgrat, das sich zehn Stunden lang vor einem Monitor gekrümmt hat. Abends zieh mich wieder gerade. Und hole Luft. Bei jedem Halt saug ich den Sauerstoff ein, der sich mir und den anderen Fahrgästen, die sich in dem muffigen Waggon drängen, erbarmt.
Zschschsch. Ostendstraße. Draußen auf dem Bahnsteig wartet eine Frau, einen Hund an der Leine. Ein Mann rauscht an mir vorbei, steigt aus, geht auf sie zu. Bückt sich.
Der Schwanz wedelt mit dem Hund. So sagt man wohl. Passt auch. Der Hund ist nur Schwanzwedeln, so sehr freut er sich, sein Herrchen unter all den aussteigenden, fremd riechenden Menschen zu erkennen. Der Mann greift nach dem Kopf des Tieres, umfasst das Kinn, hebt das pelzige Gesicht zu sich hoch.
Die Frau steht und wartet.
Weil sie nicht weiß, wohin sie sonst schauen soll, schaut sie in die offene S-Bahn. Ihr Blick bleibt an mir hängen.
Ich sehe eine Frau, die auf einen Mann gewartet hat. Und die nun wartet, bis der Mann den Hund begrüßt hat. Noch hat er nichts gesagt. Nichts außer: “Na mein Süßer?” Und: “Ja da bist du ja.” Und: “Du süßer süßer süßer du.”
Ich seh zu ihr. Sie sieht zu mir. Sie lächelt mich an. Zuckt die Schultern, als wolle sie erklären: “Ja, so ist es halt.”
Zschschsch.
Die Fahrt geht weiter.
Ja, so ist es halt.

6 Kommentare

  1. Vielleicht würd’s besser, wenn die Frau auch so viel Begeisterung angesichts ihres heimkehrenden Mannes zeigen würde wie der Hund?

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